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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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einen nach dem anderen ab? Ich werde sie nicht mal bepissen. Aber falls nötig, entschärfe ich sie, entmine sie, neutralisiere sie, genau wie ich es mit dir machen werde. Ich warte auf die Liste. Und außerdem, René, wo wir gerade dabei sind, ich bin kein Nostalgiker, glaub das nicht, wir werden uns auch mit der Gegenwart beschäftigen. Seit deinem mörderischen Pissen als junger Mann warst du nicht untätig. Heute willst du ein Rathaus, und von da aus zielst du auf Höheres. Du machst das nicht ganz allein, daher will ich die Liste deiner heutigen Handlanger. Die ganze Liste, hörst du? Die Jungen, die Erwachsenen und die alten Mistkerle, jedes Alter, jedes Geschlecht, jede Funktion. Wenn ich entmine, mache ich das gründlich, ich reiß die Rübe mit der Wurzel heraus. Und gib mir auch deine Schwarze Kasse, das wird mir helfen. Du zögerst? Hast du auch wirklich kapiert, daß der alte Ulrich Kehlweiler immer noch lebt und daß er dich vor Gericht wiedererkennen wird? Du stoppst also die Maschine, gibst mir deine Listen, deinen ganzen Papierkram, deine Netzwerke, all deinen Packen Mist, oder ich sorge dafür, daß du wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ins Loch kommst. Dasselbe gilt für den Fall, daß auch nur ein einziger aus deiner heutigen Truppe einen Finger rührt. Dasselbe gilt für den Fall, daß du meinen Alten anrührst, das versteht sich von selbst. Dasselbe gilt für den Fall, daß du versuchst, dich zu verziehen, das ist völlig nutzlos.«
    Louis hörte auf zu reden. Blanchet hielt den Kopf gesenkt, den Blick auf die Knie geheftet. Louis wandte sich Marc und Mathias zu.
    »Wir haben hier nichts mehr zu tun, gehen wir«, sagte er. »Blanchet, vergiß meine Bestellung nicht. Dein Rückzug, Auflösung deiner Armee von Mistkerlen, deine Liste, deine Kasse. Dazu noch das Dossier, das du gegen Chevalier zusammengestellt hast. Ich komme in den nächsten zwei Tagen vorbei, um das Paket abzuholen.«
    Als sie auf der Straße waren, gingen die drei Männer schweigend in Richtung Platz. Louis fuhr sich unaufhörlich mit der Hand durchs Haar, das ihm in schwarzen Strähnen auf der nassen Stirn klebte. Niemand kam auf die Idee, ins Hotel zu gehen, sie gingen weiter in Richtung Hafen, wo sie sich auf ein paar Holzreusen setzten. Das Geräusch des Westwinds, der Wellen und des Tauwerks ersetzte das Gespräch. Sie warteten sicherlich, bis Louis’ Haare getrocknet waren. Es schlug halb vier, erst von der Kirche, dann mit Verspätung vom Rathaus. Dieser doppelte Schlag schien Louis aus seinem Schweiß und einer unermeßlichen Müdigkeit zu ziehen.
    »Marc, irgendwas macht dir Sorgen«, sagte er plötzlich. »Erzähl.«
    »Das ist nicht der richtige Abend. Es gibt Momente im Leben, da schluckt man seine Lächerlichkeiten herunter.«
    »Mach, wie du willst. Trotzdem hast du jetzt schon eine Stunde den Finger im Hals dieser Flasche stecken und kriegst ihn nicht mehr raus. Es ist idiotisch, aber da müßte man was tun.«
    Mit einem Stein gingen Mathias und Louis daran, behutsam die kleine Bierflasche zu zerschlagen, die an Marcs Hand baumelte. Louis warf die Scherben ins Meer, damit sich niemand verletzte.

27
    Jean, der so schlaff und so bleich war, daß die Gendarmen sich nicht beeilten, um ihn am Mittwoch morgen in Polizeigewahrsam zu nehmen, verschwand durchs Fenster und gewann zweihundert Meter Vorsprung. Reflexartig flitzte er zu seinem Zufluchtsort und verbarrikadierte sich in der Kirche.
    Das führte dazu, daß um neun Uhr morgens sechs Gendarmen das Gebäude umringten. Die morgendlichen Besucher des Café de la Halle waren aufgeschreckt worden, sie gingen umher und gaben Kommentare ab, während sie darauf warteten, die Raushol-Aktion mitzuerleben. Diese Aktion wurde zwischen Guerrec und dem Pfarrer diskutiert, der es ablehnte, daß dabei ein Kirchenfenster aus dem 16. Jahrhundert eingeschlagen, die mit Schnitzereien verzierte Holztür aus dem 14. Jahrhundert zertrümmert oder auch nur in irgendeiner Form an das Gotteshaus gerührt würde, Punkt, aus. Nein, er habe die Schlüssel nicht, Jean sei Verwahrer des einzigen Schlüsselsatzes der Gemeinde. Der Pfarrer log mit Entschlossenheit. Und man solle nicht damit rechnen, daß er dabei helfen würde, diesen verzweifelten Menschen einzuschüchtern, der sich dem Schutz des Herrn anvertraut hatte. Es regnete erneut, alle waren durchnäßt. Guerrec blieb unerschütterlich, er verzog sein kleines Gesicht und prüfte in Gedanken jede einzelne Mauer der

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