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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Schritt um den Schreibtisch herum.
    »Eine Minute noch«, sagte Kehlweiler, ohne sich zu rühren. »Ich bin noch nicht fertig.«
    »Ich schon. Ich habe dir den Namen von Jean gegeben, weil Gaèl hinuntergestürzt wurde und nicht, weil du mich beeindruckst. Ich weiß nichts über diese Morde, und wenn du bei mir bleibst, rufe ich die Bullen.«
    »Eine Minute noch«, wiederholte Kehlweiler. »Du wirst die Bullen doch nicht wegen einer kleinen zusätzlichen Auskunft rufen. Ich möchte nur noch wissen, wo du herkommst. Das ist doch nichts Böses? Nichts ohne Gegenleistung, ich komme vom Cher. Und du, Blanchet? Aus dem Pas-de-Calais?«
    »Ja, aus dem Pas-de-Calais!« rief Blanchet. »Willst du mich noch lange ärgern?«
    »Kommst du nicht vielleicht eher aus Vierzon? Ich hätte dich eher da unten in der Ecke gesehen. Na ja, Vierzon halt.«
    Jetzt kommen wir zum Thema, dachte Marc. Zu welchem, hätte er nicht zu sagen gewußt, aber jetzt kamen sie dazu. Blanchet hatte in seinem Herumlaufen um den Tisch innegehalten.
    »Doch, Blanchet, streng dich an … Vierzon … Weißt du, in Mittelfrankreich … Mach dich nicht dümmer als alle anderen, ich weiß, das ist weit weg, aber streng dich an … Vierzon am Cher … Nein? Nichts zu machen? Du kommst nicht drauf? Willst du Hilfe?«
    Kehlweiler war ganz weiß, aber er lächelte. Blanchet nahm rasch wieder in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch Platz.
    »Keine Dummheiten, Blanchet. Ich habe da zwei Jungs, die ich nicht nur zur Dekoration mitgebracht habe, du tätest Unrecht, wenn du sie unterschätzen würdest. Der rechts hat ein schnelles Hirn und die Hände eines Rohlings, er braucht kein Werkzeug, um dir den Schädel zu spalten. Der links führt eine schnelle Klinge, ein Indianersohn. Kapierst du?«
    Louis stand auf, umrundete seinerseits den Schreibtisch, öffnete eine Schublade, die gegen Blanchets Bauch drückte, wühlte rasch unter den Papieren, zog eine Knarre heraus, leerte das Magazin. Er hob den Kopf und musterte Marc und Mathias, die jetzt beide an die Wand gelehnt standen, einer links, der andere rechts, und die Tür versperrten. Mathias war perfekt, Marc sah fast gefährlich aus.
    Er lächelte, nickte und wandte sich wieder Blanchet zu.
    »Du kommst aus Vierzon – oder soll ich dich bepissen, damit du redest? Ach … mit der Pisse-Geschichte gerät dein Gedächtnis in Bewegung, dir zittert ein Augenlid, langsam kommt es dir wieder. Es geht doch nichts über Grundreflexe.«
    Louis hatte sich hinter Blanchet gestellt und hielt mit beiden Händen den Rücken des Sessels. Blanchet hatte den Mund zusammengepreßt und rührte sich nicht, eines seiner Augen blinzelte ganz von allein.
    »Man hat dich übrigens den Pisser genannt. Und komm mir jetzt nicht mit deinen Ausweisen, die sind mir scheißegal. Du heißt René Gillot, keine besonderen Kennzeichen, braune Augen, runde Nase, Arschlochgesicht, aber das Auge des Zeichners bemerkt die Kleinigkeiten, eine runde Stelle auf der rechten Wange, wo der Bart nicht wächst, dreieckig geschnittene Ohrläppchen, Kleinigkeiten, wie jeder sie hat, es reicht, sich ihrer zu erinnern. René, genannt der Pisser, ein Abschaum, Chef der Miliz von Champon bei Vierzon. Dort, in einer Ecke des Waldes, hast du dein Miliznest, vor inzwischen dreiundfünfzig Jahren, du bist siebzehn, ein Fiesling und findest früh Geschmack an der Sache. Von dort aus fährst du mit deinem kleinen Rad zur Kommandantur, um in regelmäßigen Krämpfen deine Denunziationen wie Erbrochenes auszuspeien. Dort sieht im Jahr 42 ein deutscher Soldat, der am Eingang steht, ein Wachposten, ein anonymer, graugrüner Boche, wie du kommst und gehst. Man muß immer mißtrauisch sein mit den Wachposten, René, die langweilen sich den ganzen Tag, also beobachten sie, hören zu. Vor allem ein Posten, der nach der ersten Gelegenheit Ausschau hält, abzuhauen, was nicht leicht ist, wenn du den Helm auf dem Schädel trägst, glaub mir. Ich weiß, ich nerv dich mit meinen Geschichten, all das ist alt, älter als ich, ich habe das nicht mal erlebt, das ist lange vorbei. Aber ich erzähle das zu deinem Vergnügen. Denn ich weiß genau, daß es alte Sachen gibt, die dich beunruhigen, du fragst dich doch, durch welches Wunder manche der von dir Denunzierten gerade noch rechtzeitig verschwunden sind. Du hast zwei deiner Kameraden verdächtigt, und – damit kann ich dir dem Gewissen gleich belasten – du hast sie umsonst umgebracht.«
    Louis packte seinen Kopf und drehte ihn zu

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