Das Orakel von Theran
zurechtfinden. Gewiss wurde das bezweckt, um die Fragesteller zu verwirren und in Abhängigkeit zu den Orakeldienern zu halten.
Zwischen den Mauern waren kleine Gärtchen angelegt.
Es gab steinerne Bänke unter Palmen und Ruheplätze zwischen Sträuchern. Wenn man Abgeschiedenheit suchte, konnte man sie hier gewiss finden.
Als sie wieder durch einen Torbogen traten, fand sich Mythor im Inneren eines Gebäudes wieder, dessen Anordnung von Gängen und Räumen sich jedoch von der des Irrgartens nicht unterschied. Nur eine niedrige Decke, an der er sich fast den Kopf stieß, vermittelte zusätzlich das Gefühl von Enge. Außerdem gab es Treppen, die in höhere Bereiche führten.
Mythor wurde über drei solcher Treppen nach oben geführt, musste eine andere wieder hinuntersteigen, die jedoch nur halb so viele Stufen hatte.
Dann ging es wieder hinauf und wieder hinunter, so dass er am Ende nicht mehr wusste, von welcher Seite er das Gebäude betreten hatte und auf welcher Ebene er war.
Endlich hielten seine Führer vor einer Öffnung an. Der eine leuchtete mit dem Öllicht in einen Raum, der völlig leer und durch drei Stufen in drei Ebenen unterteilt war.
»Hier wirst du deine Wartezeit verbringen«, sagte der Sprecher der beiden Orakeldiener. »Ruhe, wenn dir danach ist, bewege dich frei, wenn du einen Drang dazu verspürst, aber vergiss nicht, genügend Zeit den Dingen zu widmen, die deinen Geist bewegen. Wenn du Aussprache brauchst, wird stets jemand für dich da sein.«
»Das ist gut zu wissen«, sagte Mythor und zwängte sich durch den niedrigen Durchlass in den Raum. »Ich möchte mit Maluk sprechen.«
»Wir sind alle deine Diener. Wenn du willst, leihe ich dir gerne mein Ohr.«
»Gut, dann lausche«, sagte Mythor grimmig. »Hörst du mein Magenknurren? Ich bin hungrig wie ein Mammut.«
»Ein voller Magen macht den Geist träge«, sagte der Orakeldiener und blies seine Öllampe aus. Der andere folgte seinem Beispiel. Dann waren nur noch ihre schleichenden Schritte zu hören, die sich in verschiedene Richtungen entfernten.
Mythor fühlte sich überrumpelt, als ob die beiden seine Absicht, ihnen im Schein ihrer Öllampen zu folgen, durchschauten. Er tröstete sich damit, dass ihm das ohnehin nichts eingebracht hätte, und legte sich auf das Lager aus einem mit Stroh gefüllten Sack auf der untersten Stufe.
Eigentlich hatte er sich den Besuch des Orakels ganz anders vorgestellt. Nicht etwa, dass er geglaubt hätte, nur sagen zu brauchen, dass er sich für den Sohn des Kometen hielt, um im Triumphzug zum Orakel geführt zu werden. Er hatte mit Schwierigkeiten, Prüfungen oder Bewährungsproben gerechnet, aber diesbezüglich war es ihm noch nicht einmal schwergemacht worden.
Irgend etwas stimmte hier nicht. Warum wollte ihn Gorel verjagen? Maluk wiederum legte ihm nichts in den Weg, machte ihm sogar Mut und förderte ihn. Es schien, als ob es zwei Strömungen unter den Orakeldienern gebe, von denen eine für und eine gegen ihn war.
Oder bildete er sich zu viel ein? War er es überhaupt wert, dass man sich um ihn bemühte, auf welche Weise auch immer?
Wie dem auch war, es stand fest, dass er zumindest einen Verbündeten und einen Gegner hatte. Er konnte nur hoffen, dass Maluk sich durchsetzte und dass er ihn bald vor das Orakel führte. Er brannte darauf.
Er hätte jetzt gerne ein Licht gehabt und einen Spiegel, um sich die Zeit mit der Betrachtung Fronjas vertreiben zu können. Aber in dieser Finsternis war ihm dies nicht vergönnt. So ließ er seine Finger über die Tätowierung wandern, um wenigstens die Umrisse ihres zauberhaften Antlitzes ertasten zu können und ihr Bildnis vor seinem geistigen Auge deutlicher entstehen zu lassen.
Aber es war nur ein schwacher Ersatz für die Wirklichkeit. Wann würde er endlich erfahren, wo dieses Wesen zu finden war und wie er zu ihm gelangen konnte? Wann würde er sie sehen? Er würde auch diese Frage dem Orakel stellen.
Mythor schlief ein und träumte von Fronja.
*
Fronjas liebreizendes Antlitz verlor sich allmählich. Es war, als ob es aus vielen Teilen bestünde, und irgendeine Macht zerlegte das Gesicht Stück um Stück. Jede Pore war ein solches Teil, und der unsichtbare Bildhauer fegte mit seinem Werkzeug Teil um Teil weg. Wenn Mythor jenen, der das Bild zerstörte, weiter gewähren ließ, dann würde Fronja bald ganz verschwunden sein.
Mythor schrie auf, er wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Und das wirkte. Der unsichtbare Bildzerstörer ließ
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