Das Osterman-Wochenende - Ludlum, R: Osterman-Wochenende
Silhouette eines Wagens ohne Scheinwerfer schoß auf ihn zu. Er kam mit ungeheurer Geschwindigkeit irgendwo aus dem Nichts. Er rannte auf den gegenüberliegenden Bürgersteig zu, nur wenige Schritte vor dem daherrasenden Wagen, machte einen Satz auf den Bordstein.
Im gleichen Augenblick verspürte er einen kräftigen Schlag am linken Bein. Das durchdringende Geräusch von Reifen, die auf Asphalt bremsten, war zu hören. Tanner stürzte, wälzte sich zur Seite und sah, wie der schwarze Wagen den Mercedes nur knapp verfehlte und dann die Valley Road hinunterraste.
Die Stelle an seinem linken Bein tat scheußlich weh; seine Schulter tobte wieder. Hoffentlich würde er gehen können! Er mußte gehen können!
Der Taxifahrer kam auf ihn zugerannt.
»Herrgott! Was ist passiert?«
»Helfen Sie mir aufstehen, ja?«
»Na klar! Klar! Alles in Ordnung? Der muß vielleicht geladen haben! Herrgott! Umbringen hätte der Sie können. Soll ich einen Arzt holen?«
»Nein. Nein, ich glaube nicht.«
»Ich hab’ ein Telefon dort drüben! Ich ruf’ die Bullen an! Die haben in Nullkommanichts einen Doktor hier!«
»Nein! Nein, tun Sie’s nicht! Es geht schon. Helfen Sie mir nur ein bißchen auf und ab gehen. Es bereitete ihm Schmerzen, aber Tanner stellte fest, daß er sich bewegen konnte. Das
war das Allerwichtigste. Der Schmerz hatte jetzt keine Bedeutung. Nichts außer Omega hatte etwas zu bedeuten. Und Omega hatte sich zeigen müssen!
»Ich glaube, ich rufe doch lieber die Polizei«, sagte der Fahrer, der immer noch Tanners Arm festhielt. »Solche Rowdys gehören nicht auf die Straße.«
»Nein... Ich meine, ich hab’ die Nummer nicht gesehen. Nicht einmal, was für ein Wagentyp das war. Es würde nichts nützen.«
»Ja, wahrscheinlich nicht. Würde dem Schweinehund ja recht geschehen, wenn er gegen einen Baum raste.«
»Ja. Das finde ich auch.« Tanner konnte jetzt wieder alleine gehen. Er würde es schon irgendwie schaffen.
Das Telefon am Taxistand auf der anderen Straßenseite klingelte.
»Das ist mein Telefon... Bei Ihnen alles klar?«
»Sicher. Vielen Dank auch.«
»Samstagnacht. Wahrscheinlich der einzige Anruf, den ich während der ganzen Schicht kriege. Die haben um diese Zeit nur ein Taxi im Einsatz. Und das ist schon eines zuviel.« Der Fahrer setzte sich in Bewegung. »Viel Glück und alles Gute. Brauchen Sie auch wirklich keinen Arzt?«
»Nein, wirklich nicht. Vielen Dank noch mal.«
Er sah zu, wie der Fahrer den Hörer abnahm, sich eine Adresse notierte, und hörte dann seine Stimme, als er sie wiederholte:
»Tremayne. Sechzehn Peachtree. Bin in fünf Minuten da, Madam.« Er legte auf und sah, daß Tanner ihn beobachtete. »Was sagen Sie dazu? Zu einem Motel in Kennedy will sie. Mit wem sie’s wohl dort treiben mag?«
Tanner wunderte sich. Die Tremaynes hatten zwei eigene Wagen... Hatte Tremayne die Absicht, den Befehl zu ignorieren, zum alten Lassiter-Bahnhof zu kommen? Oder hoffte
er nur, ihn im Ort zu isolieren, indem er sicherstellte, daß das einzige Taxi, das zur Verfügung stand, nicht da war?
Beides war möglich.
Tanner humpelte auf eine Seitengasse zu, die am Pub entlangführte und in erster Linie von Lieferanten benutzt wurde. Sie führte zu einem öffentlichen Parkplatz, aus dem er, wenn es nötig sein sollte, ungesehen entkommen konnte. Er blieb in der finsteren Gasse stehen und massierte sein Bein. In einer Stunde würde er dort einen ansehnlichen Bluterguß haben.
Er sah auf die Uhr. Es war zwölf Uhr neunundvierzig. Noch eine Stunde, dann würde er zu dem alten Bahnhof fahren. Vielleicht würde der schwarze Wagen wiederkommen. Vielleicht würden auch andere kommen.
Er hätte gerne geraucht, wollte aber so nahe bei der Straße kein Streichholz anreißen. Das Glühen der Zigarette konnte er hinter der hohlen Hand verbergen, nicht aber die Flamme eines Streichholzes. Er ging zehn Meter in die dunkle Gasse hinein und zündete sich die Zigarette an. Er hörte etwas. Schritte?
Vorsichtig schlich er wieder zum Eingang an der Valley Road zurück. Der Ort war verlassen. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, kamen aus dem Pub. Dann öffnete sich die Tür des Lokals, und drei Leute kamen heraus: Jim und Nancy Loomis, mit einem Mann, den er nicht erkannte. Er lächelte wehmütig.
Da war er jetzt, John Tanner, der angesehene Chef der Nachrichtenredaktion von Standard Mutual, und verbarg sich in einer finsteren Gasse – schmutzig, vom Regen durchnäßt, mit einer Streifschußnarbe
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