Das Paradies am Fluss
Lachen aus, eher ein verächtliches Schnauben. »Vollkommen richtig. Kannst du dir vorstellen, wie schwer mir das fallen wird? Macht sich Cass eine Vorstellung? Wie soll ich denn reagieren? Ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll, und ich begreife nicht, warum wir uns unbedingt im Pfarrhaus begegnen müssen. Da bin ich ja völlig in der Unterzahl.«
»Ich glaube, es wird für alle peinlich«, meint er. »Ma hat es noch gar nicht ganz realisiert. Pa ist wütend, versucht jedoch, es wegen der Jungs nicht zu zeigen. Ich finde wirklich, das Gescheiteste ist, cool zu bleiben und kein Riesendrama daraus zu machen.«
»Ich weiß, dass du so denkst. Und ich glaube, in diesem letzten Punkt hast du recht – jedenfalls werde ich das einsehen, wenn ich nicht mehr so zornig bin. Nichts daran ist schließlich Guys Schuld. Was soll ich denn zu Gemma sagen? ›Wie schön, dich zu sehen, Schatz! Willkommen zu Hause! Ein Jammer, dass die Ehe wegen deiner Flirts und Untreue gescheitert ist!‹ Was ist mit meiner Loyalität gegenüber Guy?«
»Das verstehe ich doch, Kate. Deswegen rufe ich an. Ich finde, alle brauchen ein wenig Freiraum.«
»Tut mir leid, Ollie«, murmelt sie. »Ehrlich, es hat nichts mit dir zu tun. Sorry.«
»Ist schon okay. Geh einfach nicht ans Telefon!«
»Ich fahre einkaufen«, erklärt Kate. »Führe Flossie aus. Danke, Ollie.«
»Bis bald.«
Jess fährt in ihrem kleinen Auto langsam dahin und schaut hinaus auf die ihr fremde Landschaft. Die Tors – Granitformationen, die wie unordentlich aufeinandergestapelte Felsbrocken aussehen – wachsen aus kurz abgeweideten, sanft gewellten Grasflächen empor, wo kleine, zähe Ponys grasen und weißliche, wollige Schafe am Rand der grauen Straße entlangziehen. Behutsam manövriert sie den Wagen um sie herum und fürchtet, sie könnten plötzlich loslaufen und ihr unter die Räder kommen; und dann fährt sie auf den Seitenstreifen, damit sie den unerwarteten herrlichen Blick auf sich wirken lassen kann. Sie hat keine Ahnung, wo sie ist, aber das bereitet ihr keine Sorgen; es liegt etwas Magisches daran, sich in dieser ungezähmten Natur zu verirren. Ihr fallen scharlachrote Beeren auf, die in Büscheln an einem mit silbrigen Flechten überzogenen Dornenbusch sitzen, und das Fischgrätmuster des niedergetretenen Farns. Es sind die Einzelheiten, die winzigen Details, die so faszinierend sind, obwohl die seltsame Macht dieser trostlosen Einöde unter dem unendlichen Himmel weiter auf ihre Sinne einstürmt.
Sie fährt weiter von der Straße hinunter, in einen kleinen alten Steinbruch hinein, schaltet den Motor ab und greift nach der Thermosflasche mit dem Kaffee. Diese Ecke liegt geschützt vor dem scharfen Nordostwind, und Jess steigt aus dem Auto. Sie gießt sich Kaffee ein, geht ein paar Schritte und bleibt stehen, um zu trinken. Die Sonne ist heiß, und Jess wendet sich ihr zu, schließt die Augen und lauscht dem heiseren Krächzen eines Raben irgendwo in der Nähe. Eine Eberesche klammert sich an den Rand der Schottergrube, und zwischen ihren freiliegenden, knochenartigen, beharrlichen Wurzeln sieht sie verblichenen Fingerhut.
Jess setzt den Becher auf einem Felssims ab und tastet in der Jackentasche nach ihrer Kamera. Der Fingerhut erinnert sie sofort an David, und sie fotografiert die Stauden zusammen mit einer Gruppe kleingewachsener Blutwurzpflanzen. Ein Stück klettert sie den ausgetretenen Pfad hinauf, der aus der Grube führt, aber hier oben ist der Wind kalt, und sie kehrt um. Sie setzt sich in ihren Wagen, lässt die Tür offen, damit die Sonne hereinscheinen kann, und trinkt ihren Kaffee.
»Manche Menschen bekommen Angst, wenn sie allein im Moor sind«, hat Kate ihr erklärt. »Ich habe das nie so empfunden. Das Moor und das Meer sind immer wichtig für mich gewesen. Diese Empfindung von Unendlichkeit vermittelt mir ein Gefühl des Friedens. Angesichts ihrer Größe wirken meine Probleme klein, und das hat eine beruhigende, heilende Wirkung. Ähnlich wie die Besinnung auf Gott. Halten Sie sich jedenfalls an die großen Straßen, und alles geht gut.«
»Ich habe keine Angst vor dem Alleinsein«, antwortete sie. »Ich bin daran gewöhnt. Daddy hat mich immer ermuntert, unabhängig zu sein. Wenn man darüber nachdenkt, muss er ziemlich hart im Nehmen gewesen sein, um ganz allein mit achtzehn aus Australien herzukommen und zur Armee zu gehen. Natürlich war er hier geboren, daher hatte er einen britischen Pass und ein paar Verwandte hier,
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