Das Paradies am Fluss
zu mir nach Hause und sah als Erstes das Gemälde, und so kam alles heraus.«
»Und Sie beide haben geheiratet.«
»Sehr viel später. Ich habe ein wenig Zeit gebraucht, um dieses Gefühl von Sicherheit aufzugeben, das daraus entspringt, gar nichts zu empfinden. Liebe schmerzt, aber wenigstens weiß man, dass man lebendig ist. David war ein guter Mensch. Er wollte geben, teilen. Er hat mich davon überzeugt, dass es besser ist, sich am Strand die Füße an den Glasscherben aufzuschneiden, als niemals den Sand zwischen den Zehen zu spüren. Also habe ich noch einmal die Schuhe ausgezogen und ihn geheiratet.«
Jess schüttelt den Kopf. »Das ist alles so seltsam!«, meint sie.
Kate sieht sie mitfühlend an. »Wenn alte Leute bei den Erinnerungen an ihre Vergangenheit rührselig werden? Ein bisschen abstoßend, was?«
»Nein«, ruft Jess aus. »Nein, das meine ich nicht. Es ist nur so, dass ich das Gefühl habe, in einen Roman hineingeraten zu sein, indem ich hergekommen bin. Sie und Cass und Tom kennen meine Großeltern und sind alle zusammen jung gewesen. Und all das über David zu hören … David Porteous! Ich meine, für mich ist er wie eine Ikone, und jetzt erzählen Sie mir all diese Sachen, und dieses kleine Gemälde ist ein Teil davon. Die Worte, die er darauf geschrieben hat.«
»Arme Jess! Für eine Geschichte ziemlich überwältigend, würde ich sagen.«
»Nein«, gibt Jess vehement zurück. »Es ist gut. Seit Dad gestorben und Mum nach Brüssel gegangen ist, habe ich mich irgendwie isoliert. Als Künstlerin …«, sie wirkt leicht befangen, als verdiente sie den Titel vielleicht nicht, »ist man ziemlich viel für sich. Es ist erforderlich, dass man die meiste Zeit allein verbringt. Bei mir jedenfalls ist es so. Davon abgesehen, habe ich keine Lust, ständig erklären zu müssen, was mit Daddy passiert ist und dass Mum wieder geheiratet hat, und das isoliert mich auch. Und plötzlich bin ich in so etwas wie einen Wandteppich mit all diesen Figuren marschiert, und sie werden um mich herum lebendig. Es war richtig, richtig bizarr, Tom über Granny reden zu hören. Und wie er gar nicht darüber hinwegkam, wie ähnlich ich ihr sei. Sogar nach all den Jahren hat er sich an sie erinnert.«
»Tom vergisst nie eine schöne Frau«, meint Kate trocken. »So viele Jahre auch vergangen sein mögen. Ich bin nur froh, dass Sie sich nicht überfordert fühlen.«
»Nein. Es ist toll. Ich habe wieder das Gefühl, ein Teil von etwas zu sein. Ich gehöre in diese Geschichte.«
»Gut«, sagt Kate. »Dann hoffen wir, dass die Trehearnes etwas Gutes zu der Geschichte hinzuzufügen haben. Wir sind nächste Woche bei ihnen zum Lunch eingeladen.«
Am nächsten Morgen ruft Oliver an, kurz nachdem Kate Jess nachgewinkt hat, die in ihrem kleinen Auto allein zu einem Ausflug aufgebrochen ist. Sie hat Jess mit einer amtlichen Landvermessungskarte und einer Thermosflasche Kaffee ausgestattet und ihr erklärt, der Handy-Empfang draußen im Moor sei unzuverlässig.
»Sie kommt bestimmt gut zurecht«, meint sie zu Oliver. »Sie ist sehr unabhängig. Was ist los?« Er ruft vom Handy an, daher vermutet sie, dass dieses Gespräch nur sie beide angeht.
»Gemma und die Jungs sind gestern angekommen«, sagt er, »und Ma hat überlegt, ob du nicht herüberkommen und sie begrüßen willst. Ich glaube, sie ruft gleich an; das ist also sozusagen ein Warnschuss.«
Kate schweigt. Sie unterdrückt den starken Impuls, etwas Grobes zu erwidern, und ist erschüttert darüber, wie sehr sich alles in ihr dagegen sträubt, ihre Schwiegertochter zu sehen. Gemma ist untreu gewesen und hat ihre Ehe mit Guy zerstört, und ihr, Kate, wird es schwerfallen, einfach ins Haus zu schlendern und sie mit der gewohnten Herzlichkeit zu begrüßen. Natürlich sind da auch noch die Zwillinge …
»Kate«, sagt Oliver, »wenn du noch Zeit brauchst, geh einfach nicht ans Telefon. Ich dachte, es würde dir vielleicht unangenehm sein, die Einladung abzulehnen, wenn du überrumpelt wirst. Sie haben einen früheren Flug bekommen, und ich habe sie gestern Morgen abgeholt.«
»Sie sind bestimmt alle erschöpft«, fällt Kate rasch ein. »Ich warte ein paar Tage, Oliver. Trotzdem danke.«
»Ma dachte, dass du die Zwillinge in die Arme schließen möchtest.«
»Will ich auch. Natürlich. Aber …«
»Aber es ist ziemlich knifflig, sie alle glücklich vereint am Busen der Familie zu sehen, während der arme Guy in Kanada schmort?«
Kate stößt ein kurzes, bitteres
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