Das Paradies am Fluss
Gemma traf sich mit einem jungen Marineoffizier. Doch ihre Freundschaft blühte auf der Grundlage einer vertrauten, gemeinsamen Vergangenheit, ihrer ungezwungenen Kameradschaft und alten Scherzen aus ihrer Kindheit. Wenn Gemma Ferien hatte, kam sie ihn mit Cass’ kleinem Auto besuchen, und sie segelten gemeinsam oder unternahmen lange Spaziergänge mit seinem Golden Retriever Bertie. Doch wegen der schönen, geheimnisvollen und frisch verwitweten Nell behandelte er Gemma hartnäckig fast wie eine kleine Schwester, und als sie endlich zu dem Schluss gelangte, daraus würde nie mehr als Freundschaft werden, ergriff sie die Initiative.
Jetzt sitzt Guy auf der Bettkante und erlaubt dem Bild, in ihm aufzusteigen: die attraktive Wohnanlage, »Courtyard« genannt, aus ausgebauten Scheunen und Cottages in Nethercombe an einem speziellen Dezemberabend vor zwölf Jahren.
In der Abenddämmerung breitete sich eine angenehme Szenerie vor ihm aus: Lichter glitzerten in den Fenstern, und Rauch stieg sanft in die kalte Luft auf. Er kehrte mit Bertie von einem kleinen Spaziergang durch den Birkenhain zurück, als er Gemma sah, die das nach innen gelegene Ende der Auffahrt überquerte. Offenbar war sie an seinem Haus gewesen, hatte es leer vorgefunden und ging jetzt wieder. Die Enttäuschung darüber, sie verpasst zu haben, durchfuhr ihn wie ein Messerstich, und er stieß einen lauten Schrei aus, bei dem Bertie zusammenfuhr. Doch Gemma hörte ihn entweder nicht oder ignorierte seinen Ruf und lief eilig zu ihrem geparkten Wagen. Die letzten paar Meter rannte er und rutschte auf dem Kies aus, während Bertie mit angelegten Ohren von einer Seite auf die andere flitzte und versuchte, ihm nicht zwischen die Füße zu geraten. Als er die Höhe des Torbogens erreichte, der in die Wohnanlage führte, steuerte Gemma ihren kleinen Wagen gerade rückwärts vom Besucherparkplatz, und er rannte auf sie zu und wedelte heftig mit den Armen. Doch immer noch schien sie ihn nicht zu sehen, sondern fuhr die Zufahrt entlang und verschwand auf der Straße.
Von unterschiedlichen Emotionen geschüttelt, blieb er völlig reglos stehen. Seine Enttäuschung und das andere vollkommen widersinnige Gefühl von Zurückweisung und Verletzung, als hätte sie ihn mit Absicht ignoriert und versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, verwirrten ihn. Warum in aller Welt sollte sie in die Wohnanlage kommen, wenn sie ihn nicht sehen wollte? Er fragte sich, ob sie vielleicht eine Nachricht unter seiner Tür hindurchgeschoben hatte, rannte zum Haus und tastete in seiner Tasche nach dem Schlüssel. Richtig, da lag ein Brief auf der Fußmatte; ein zusammengefaltetes Stück Papier. Eilig hob er es hoch.
Lieber Guy,
ich will dir nur sagen, dass ich dieses Jahr nicht zu Weihnachten komme. Ich schätze, ich bin dir ein wenig lästig gefallen. Du warst sehr lieb, doch ich werde dich nicht mehr behelligen. Aber wir sind doch noch Freunde, oder? Es war nett.
Alles Liebe, Gemma
Blitzschnell war er wieder aus der Tür, stopfte den Zettel in die Tasche, lockte Bertie auf den Rücksitz seines Wagens und sprang selbst hinein. Dann wendete er und raste so schnell die Einfahrt entlang, dass der Kies unter seinen Reifen wegspritzte. Er wusste genau, welchen Weg sie einschlagen würde, daher nahm er die Ivybridge Road und hielt sich in Richtung Cornwood. Während er über das Moor fuhr, jagten sich die Gedanken in seinem Kopf. Es war, als wäre ein Vorhang weggezogen worden, und Guy erkannte, was für ein unsagbarer Idiot er gewesen war. Ihm wurde klar, dass seine verbissene Verehrung für Nell ihn blind gegenüber der Wahrheit gemacht hatte, die ihm jetzt grell ins Gesicht sprang. Er dachte an die Freude, die er empfand, wenn er Gemma sah, den Trost und die Zuversicht, die sie ihm schenkte; an die Ungezwungenheit und das Glück, die er in ihrer Gegenwart fühlte. Er liebte Gemma, die Frau aus Fleisch und Blut mit ihrer witzigen, zärtlichen Art – nicht den Traum, den er sich rund um die ätherische Nell geschaffen und an dem er stur festgehalten hatte. Oh ja, Nell war schön, verletzlich und allein. Und das hatte an seine Ritterlichkeit appelliert und ihn glauben lassen, er sei verliebt in sie. Er hatte sich benommen wie ein Sechzehnjähriger, der für einen Filmstar schwärmte. Mit der Wirklichkeit hatte das nichts zu tun. Jetzt wusste er auch, warum er sich Nell nie als Geliebte oder Ehefrau hatte vorstellen können. Doch Gemma sah er auf dieser Fahrt plötzlich problemlos in dieser
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