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Das Paradies am Fluss

Das Paradies am Fluss

Titel: Das Paradies am Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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ein Bild davon. »Ich habe gestern bei einem Freund in London übernachtet und mir einen Mietwagen genommen. Und was hast du hier zu suchen?«
    Die direkte Frage amüsiert Oliver offensichtlich. Guy rechnet mit Konflikten, mit Vorwürfen, und er ist darauf vorbereitet und aggressiv gestimmt. Oliver zögert und beschließt dann, nicht wie erwartet auf den verlorenen Sohn – oder, in diesem Fall, verlorenen Schwager – zu reagieren, sondern ihn einfach auf dem falschen Fuß zu erwischen.
    »Der gute alte Guy«, sagt er beiläufig. »Wie schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen, und vollkommen unverändert! Ich hatte mir gerade ein paar Fotos von dir angeschaut.«
    »Fotos?« Genau wie Oliver gehofft hatte, gerät Guy vollkommen aus dem Konzept. »Was für Fotos?«
    »Die hier.« Oliver beugt sich über den Tisch und schiebt ihm die Aufnahme aus dem Mount House hinüber. »Siehst du? Du und Giles hier am Ende der Reihe.«
    Als Guy auf die vielen kleinen Jungen hinuntersieht, steigen unerwartet eine Anzahl verwirrender Erinnerungen und Empfindungen in ihm auf: ungezwungene Kameradschaft, ausreichend Gelegenheit zum Austoben, Geborgenheit. Er war als Grundschüler im Internat sehr glücklich gewesen.
    »Könnten deine Zwillinge sein, oder?«, murmelt Oliver. »So eine Art ungebrochene Tradition.«
    Bevor Guy antworten kann, hält Oliver ihm ein weiteres Foto hin, das von Blundell’s: Er und Giles stehen an den entgegengesetzten Enden der Reihe, und jetzt melden sich bei Guy andere Erinnerungen. Abschlussprüfungen und die Erwachsenenwelt, die beginnende Last der Verantwortung üben Druck aus: Das Leben ist real, und das Leben ist ernst. Er gibt das Foto wieder zurück und sieht seinen Schwager an.
    »Ich hatte an Charlotte gedacht«, erklärt Oliver wie zur Antwort auf eine Frage. »Das war in dem Jahr, als sie gestorben ist. Ma hat es mir in eurer Studierstube gesagt, weißt du noch? Wie lange das her zu sein scheint!«
    Guy schweigt. Er kämpft mit seiner Empörung. Oliver hat ihm die Bilder gezeigt, die tragische Szene am Blundell’s heraufbeschworen und damit seine Abwehr unterlaufen. Jetzt wird es ihm schwerer fallen, die bitteren Worte auszusprechen, die ihm im Kopf herumgehen, seit Gemma ihm in einer E-Mail mitgeteilt hat, dass Oliver angeboten hat, die Schulgebühren für die Zwillinge zu übernehmen. Wieder einmal hat der Schwager die Oberhand, und Guy kocht innerlich vor Wut.
    »Kate hat mich gebeten, ein paar Tage zu bleiben«, sagt Oliver. »Hat sie dir von Jess erzählt, die Davids Preis gewonnen hat? Jedenfalls sieht es aus, als müsste Jess möglicherweise zurückkommen. Daher dachte Kate, für diesen Fall sollte jemand hier sein. Warum hast du ihr dein Kommen nicht angekündigt?«
    »Niemand weiß davon. Diese ganze Sache ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen.« Guy ist frustriert. Dieser letzte Streit mit seinem Vater, das stille Haus, das ohne die Zwillinge und Gemma leer und merkwürdig einsam ist – all das hat ihn zu dieser verrückten Reise getrieben. Er ist gar nicht auf die Idee gekommen, dass seine Mutter nicht da sein könnte. Aber andererseits hat er überhaupt nicht sehr klar gedacht. Sein Plan hatte darin bestanden, Gemma gegenüberzutreten, sie zu überrumpeln …
    Oliver betrachtet ihn mit einem mitfühlenden Blick, der Guy noch zorniger macht. Unterdrückt murmelt er ein paar Flüche, und Oliver platzt vor Lachen heraus.
    »Hör mal«, sagt er. »Wenn du lieber allein sein möchtest, kann ich wieder ins Pfarrhaus ziehen. Kein Problem. Doch wie wäre es, wenn wir vorher in den Pub gehen und ein Bier trinken? Wenn du dann zurück bist, kannst du Kate anrufen, und ich verschwinde. Im Pfarrhaus herrschte keine besonders gute Stimmung, verstehst du? Meine Eltern billigen es nicht gerade, dass Gemma dich verlassen hat, und bei allen liegen die Nerven blank. Gemma verbringt ein paar Tage bei einer Freundin, und ich habe ebenfalls die Gelegenheit beim Schopf gepackt und mich davongemacht. Um die Wahrheit zu sagen, freue ich mich sehr, dich zu sehen. Du kannst uns endlich erzählen, was wirklich los ist.«
    Guy schnaubt verächtlich. »Wie zum Teufel kommst du auf die Idee, dass ich das weiß?«
    Oliver zuckt mit den Schultern. »Okay. Lass uns trotzdem ein Bier trinken gehen! Kann nicht schaden, oder?«
    »Und das ist der Stand der Dinge«, erklärt Guy später – um einiges später.
    Sie haben im Pub ein paar Bier getrunken und zu Abend gegessen, und jetzt sind sie zurück im Cottage.

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