Das Paradies am Fluss
aufbrechen, da fährt Cass heran und parkt vor dem Cottage in der Chapel Street.
»Tom treibt mich in den Wahnsinn, und ich habe es einfach keine Minute länger ausgehalten«, erklärt sie und folgt Kate ins Wohnzimmer. »Aber ich wollte dich und Guy nicht stören. Oliver meinte, Gemma und er würden direkt nach dem Mittagessen fahren.«
Sie bückt sich und macht viel Aufhebens um Flossie, denn sie weiß, sie hätte nicht so früh kommen, sondern Kate noch etwas Zeit lassen sollen, Guys Besuch zu verarbeiten. Aber gleichzeitig hasst sie es, dass die Situation zwischen Kate und ihr derart verfahren ist, solange Gemma und Guy ihre Probleme noch nicht gelöst haben.
»Ich glaube, es wird klappen«, hat Oliver ihr gestern am Telefon gesagt, »vorausgesetzt, niemand mischt sich ein.«
Unterdessen ist sie unruhig und kann sich nicht entspannen, und Gemma kommt erst morgen zurück.
»Sie sind vor ungefähr zehn Minuten gefahren«, erklärt Kate. Auch sie empfindet Unbehagen. Nach fünfzig Jahren Freundschaft fühlt es sich verkehrt an, uneins mit Cass zu sein. Aber sie ist immer noch von ihren Emotionen überwältigt. Sie hatte Guy fast ein Jahr nicht gesehen, und dann konnte sie nur so kurz mit ihm allein sein. Und da irritiert sie dieser unerwartete Besuch, der sie aus ihrer mütterlichen Stimmung reißt, ein wenig.
»Wir haben Guy gar nicht gesehen«, sagt Cass – und beginnt zu lachen. »Ich glaube, Gemma hatte schreckliche Angst, Tom könnte etwas Unüberlegtes von sich geben und alles ruinieren. Deswegen hat sie sich zuerst in einem Hotel bei Dartmouth versteckt und dann hier. Oh Gott, Kate, wie mir das zuwider ist!«
Sie setzt sich an den Tisch, streicht sich das Haar zurecht, das heutzutage zu einem aschfahlen Cremeton verblasst ist, und lächelt Kate betreten zu – und schon sind die Geister wieder da. Kate sieht eine viel jüngere Cass, die genau wie jetzt an diesem alten Tisch sitzt. So war es in den Wohnquartieren bei der Marine, ihren Cottages und dem Haus in Whitchurch: Cass hat ein Baby auf dem Schoß, Kleinkinder spielen zu ihren Füßen, und sie lächelt über eines ihrer Missgeschicke. Kate erinnert sich daran, wie sie zusammen über Albernheiten lachten oder auf die Unvernunft der Marine schimpften – und wie Cass nach Charlottes Tod geweint hat, erfüllt von Schuldgefühlen, Kummer und qualvoller Trauer.
»Mir auch.« Kate nimmt ihr gegenüber Platz. Sie weiß, dass Guy nicht wollen würde, dass sie Cass von seinen persönlichen Gedanken und Plänen erzählt, daher gibt sie dem Gespräch eine andere Wendung. »Ich glaube, Oliver hat recht, und es wird alles gut zwischen ihnen, doch wir müssen das vielleicht noch ein wenig aushalten. Es ist großartig, dass sie die Trehearnes kennengelernt haben, oder? Aber schlimm, das mit der armen alten Lady T. Gemma wusste nicht allzu viel, nur dass sich ihr Zustand wohl stark verschlechtert hat, als sie gerade ihren Tee genommen hatten. Gemma und Guy haben einfach die Jungs genommen und sind schnell gefahren.«
Cass versteht die Andeutung sofort. Jegliche wichtige, persönliche Eröffnung über die Zukunft ihrer Kinder muss von Gemma kommen. Gut, das ist fair.
»Viel hat Oliver mir nicht erzählt«, sagt sie. »Ich weiß, dass sie alle zum Mittagessen an den Tamar fahren wollten, aber weiter sind wir nicht gekommen. Tom war wütend, weil sie uns nicht besucht haben. Das mit Lady T. hatte ich noch nicht gehört.«
Um ehrlich zu sein, interessiert Cass sich nicht besonders für Lady T. Ihr Problem ist, dass sie sich angesichts von Toms übler Stimmung in letzter Zeit merkwürdig einsam fühlt. Dieses elende Thema der Scheidung, das zwischen ihr und Kate steht, hat ihr klargemacht, wie sehr ihr die alte, bedingungslose Freundschaft zwischen ihnen fehlt. Bisher war noch nie etwas zwischen ihnen tabu, ob Kinder, Ehemänner oder Liebhaber. Aber jetzt schleichen sie auf Zehenspitzen umeinander herum, und keine von ihnen kann das Kind der anderen allzu offen kritisieren, damit die Freundschaftsbeziehung unter diesem Druck nicht zerbricht. Sie fragt sich, wie Kate damit zurechtkommt, ohne jemanden, bei dem sie Dampf ablassen kann, wenn etwas schiefgeht, oder den sie umarmen kann, wenn sie in diesen trostlosen frühen Morgenstunden mit Verzweiflung im Herzen aufwacht. Tom geht ihr, Cass, im Moment vielleicht etwas auf die Nerven, aber wenigstens ist er da. Und um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist er ein großer Trost, wenn es ganz schlimm kommt.
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