Das Paradies auf Erden
uns nichts mehr an. Es ist uns schwer gefallen, das Haus zu verlassen, aber wir hätten nicht bleiben können … auch nicht bei einem entsprechenden Angebot von Mr. Ramsay.”
Claudia sagte noch anderen Gästen, meist alten Freunden, Guten Tag, achtete dabei aber immer wieder auf die Zeit. Kurz nach ein Uhr suchte sie ihre Mutter und George auf, erzählte ihnen, dass Mr. Tait-Bullen sie nach Southampton fahren würde, und versprach, so bald wie möglich wiederzukommen.
Anschließend holte sie ihren Koffer und ging in den Flur. Tombs war dort und unterhielt sich mit Mr. Tait-Bullen, der gerade seinen Mantel anzog.
“Ah, da sind Sie ja, Miss Claudia”, sagte er. “Ich versicherte dem Professor gerade, dass Sie pünktlich sein würden.”
“Danke, Tombs. Es war eine gelungene Hochzeit, und Sie haben bestimmt großen Anteil daran. Ich komme wieder, wenn ich einen freien Tag habe. Passen Sie gut auf sich auf. Von Mrs. Pratt und Jenny habe ich mich schon verabschiedet.”
“Sehr freundlich, Miss Claudia.” Tombs nickte und öffnete die Tür. “Gute Reise.”
Claudia machte es sich auf dem weichen Ledersitz bequem. “Wissen Sie, wie man auf die Straße nach Romsey kommt?” fragte sie. “Durch das Dorf, dann weiter geradeaus und an der Kreuzung links. Bei der nächsten Abzweigung geht es dann nach rechts. Die Straßen sind ziemlich schmal.”
Mr. Tait-Bullen bedankte sich so freundlich, dass Claudia ungeniert zu plaudern anfing. “Wir sind so dankbar, dass Tombs bei George wieder eine Stellung gefunden hat. Nach den vielen Jahren bei Onkel William … Es gibt nicht mehr viele Menschen wie ihn.”
Mr. Tait-Bullen liebte es nicht, zu plaudern, und schwieg.
“Gehören Sie zu den Menschen, die nicht gern reden, wenn sie am Steuer sitzen?” fragte Claudia. “Wahrscheinlich muss man sich sehr konzentrieren, besonders in einem Auto wie diesem.”
Mr. Tait-Bullen, dessen tägliche Arbeit ein Höchstmaß an Konzentration erforderte, schwieg weiter.
Claudia betrachtete sein Profil. “Meinetwegen. Wenn Sie nicht reden wollen…”
Sie wandte sich ab und sah aus dem Fenster. “Wahrscheinlich sind Sie müde.”
“Durchaus nicht, Claudia. Wann haben Sie in der nächsten Woche frei?”
“Warum?” Als sie keine Antwort erhielt, gab sie widerwillig Auskunft und fügte hinzu: “Aber das kann sich kurzfristig ändern. Es scheint nicht genug Personal zu geben.”
“Eine Altenklinik ist bei Schwestern sicher nicht sehr beliebt”, meinte Mr. Tait-Bullen.
“Das kann ich verstehen, obwohl ich keine ausgebildete Schwester bin.”
“Sie sagen, dass Sie am nächsten Freitag ab drei Uhr freihaben? Ich werde Sie kurz danach abholen, und wir werden den restlichen Tag gemeinsam verbringen.”
“Ach, werden wir? Haben Sie mich schon gefragt?”
“Verzeihung. Ich nahm an, dass Sie mich gern wieder sehen würden … wie ich Sie.”
“Also nein! ” rief Claudia. “Was sonst noch?”
“Das würde ich gern herausfinden.”
Die Antwort verblüffte Claudia, und sie beschloss, darüber nachzudenken.
“Vielen Dank”, erklärte sie schließlich, denn sie kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. “Aber ärgern Sie sich nicht, wenn der Dienstplan geändert wird.”
“Machen Sie sich darüber keine Gedanken.” Sie hatten inzwischen die Vororte von Southampton erreicht. “Sagen Sie mir, wo ich abbiegen soll.”
Um halb drei hielten sie vor dem Krankenhaus. Der Professor stieg aus, öffnete Claudia die Tür und begleitete sie in die Eingangshalle. Dort übergab er ihr den Koffer und drückte ihr kurz die Hand.
“Danke fürs Mitnehmen”, sagte sie und lächelte. Der Professor lächelte ebenfalls, etwas verhalten, was sein strenges Gesicht völlig veränderte. Plötzlich fühlte sich Claudia nicht mehr so einsam, und die Zukunft lag nicht mehr ganz so grau vor ihr. Fast schlagartig wurde ihr klar, wie sehr sie einen Menschen brauchte.
Als sie gegangen war, schlenderte Mr. Tait-Bullen zur Pförtnerloge. Er blieb dort einige Minuten und folgte dann dem Pförtner durch einen langen, düsteren Korridor bis zu einer Tür, hinter der er verschwand.
Claudia vergaß ihn bis zum Abend nicht. Nach dem heiteren Vormittag erschien ihr das Los der alten Frauen so traurig, dass sie vor Mitleid hätte weinen mögen. Doch damit wäre niemandem geholfen gewesen. Tee und immer wieder Tee, endlose Gänge zum Klo, Aufwischen nach unvermeidlichen Missgeschicken, Bettenmachen - dabei half nur unermüdlicher Einsatz, und wenn einem
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