Das Paradies auf Erden
der Körper noch so wehtat! Als Claudia um zehn Uhr Dienstschluss hatte, war die Hochzeit ihrer Mutter nur noch ein ferner Traum.
Sie fiel todmüde ins Bett und schlief auf der Stelle ein. Am nächsten Morgen duschte sie, zog das braune Kleid an und ging hinunter zum Frühstück. Der tiefe Schlaf hatte sie erfrischt, und ihre gute Laune hielt den ganzen Tag an, trotz unzähliger kleiner Pannen und Schwester Clarks ständigen Zurechtweisungen.
Claudia verzieh ihr leichten Herzens, denn es war keine Kleinigkeit, dreißig kranke alte Frauen zu versorgen. Wer sich an diese Aufgabe heranwagte, war zu bewundern, auch wenn ihm keine Kraft blieb, zu anderen freundlich zu sein.
Trotzdem traf es Claudia hart, als Schwester Clark ihr mitteilte, dass sie am kommenden Freitag nicht morgens, sondern nachmittags Dienst haben würde.
Dadurch wurde ihre Verabredung mit Mr. Tait-Bullen hinfällig, und sie konnte ihn nicht einmal benachrichtigen. Ob er sehr verärgert sein würde? Claudia hätte alles getan, um das zu vermeiden, doch wozu sich aufregen? Er würde kommen und unverrichteter Dinge wieder abfahren. Der Gedanke stimmte sie traurig.
Als sie am nächsten Tag die Station verließ, rief Schwester Clark sie in ihr Büro. “Sie übernehmen Freitag die Frühschicht”, sagte sie misslaunig. “Genau wie geplant. Wir bekommen vorübergehend eine Vertretung. Es besteht daher kein Grund, den Dienstplan zu ändern.”
„Dann habe ich Freitag ab drei Uhr frei?” fragte Claudia, um ganz sicherzugehen.
“Das habe ich doch gerade gesagt”, lautete die scharfe Antwort. “Ihr jungen Frauen seid alle gleich. Keine hört richtig zu.”
Claudia entschuldigte sich in angemessenem Ton, aber draußen tanzte sie vergnügt und übermütig den Flur entlang. Vielleicht hielt die Zukunft doch noch einige angenehme Überraschungen für sie bereit.
5. KAPITEL
Am Freitag herrschte nasskaltes Wetter. Claudia sah während der Arbeit immer wieder aus dem Fenster, aber entgegen ihrer Hoffnung trat keine Besserung ein.
Es kam sogar noch heftiger Wind dazu, so dass sich das Garderobeproblem von selbst löste. Das graue Kostüm und darüber der Regenmantel - für unterwegs allenfalls passend, aber kaum geeignet, um Mr. Tait-Bullen zu veranlassen, sie in ein schickes Cafe einzuladen.
Der Professor hatte keine solc hen Skrupel, als er Claudia in der Halle auf sich zukommen sah. Er lehnte an der Büste eines schnurrbärtigen viktorianischen Würdenträgers - vermutlich ein Mitbegründer der Altenklinik - und sagte sich, dass er nie eine schönere Frau gesehen habe. Daran konnten auch der Regenmantel und das fade graue Kostüm nichts ändern. Er dachte an die Klamotten, die sie im Gewächshaus getragen hatte, und musste lächeln. Schon damals hatte er über ihrem Liebreiz ihr Äußeres vergessen.
Natürlich verriet sein Gesicht nic ht, was in ihm vorging.
“Guten Tag”, sagte Claudia und lächelte etwas angespannt. “Ich habe Sie doch nicht warten lassen? Sie hätten denken können, dass ich nicht komme.” Sie strich sich eine Locke aus der Stirn, die in der Eile der Haarbürste entgangen war. “Ich bin nicht gut frisiert und auch nicht besonders gut angezogen. Macht Ihnen das etwas aus?”
Mr. Tait-Bullen lächelte. “Nein, Claudia. Sie sehen sehr gut aus. “
Kein überschwängliches Kompliment, aber Claudia genügte es. Der Professor hatte zu den Worten gelächelt, und das gab ihr die Gewissheit, dass er es ernst meinte.
“Wollen wir zuerst Tee trinken? Später könnten wir aufs Land fahren und irgendwo zu Abendessen.”
“Das wäre wunderbar. Natürlich in keinem teuren Restaurant, denn dafür bin ich nicht richtig angezogen. Ich wusste nicht, ob wir überhaupt … Ich meine, mir blieb so wenig Zeit, und ich wollte Sie auf keinen Fall verpassen… ” Claudia merkte, dass sie Unsinn redete, und verstummte.
“Ich kenne ein hübsches, ruhiges Hotel in Evershot”, sagte Mr. Tait -Bullen.
“Aber zuerst den Tee.”
Sie fuhren in die Innenstadt zu einem etwas abseits gelegenen Cafe, vor dem sich bequem parken ließ. Es war mäßig besucht, aber warm und gemütlich. Sie wählten einen Tisch am Fenster, dessen Vorhänge bereits wegen der zunehmenden Dämmerung geschlossen waren.
Mr. Tait-Bullen bestellte Tee und Buttertoast und ermunterte Claudia, auch von den Cremetörtchen zu nehmen, die etwas später gebracht wurden. Dabei ließ er das Gespräch keinen Augenblick ruhen, so dass Claudia ihre anfängliche Befangenheit rasch
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