Das Paradies der Damen - 11
fuhr sie mit strenger Miene fort:
»Vorwärts, Fräulein Marguerite, Sie schlafen ja ein; so werden wir niemals fertig.«
Lhomme hatte sich wieder über seinen Bogen gebeugt und schrieb. Man hatte allmählich seine Bezüge auf neuntausend Franken erhöht, aber er bewahrte noch immer die alte Unterwürfigkeit gegenüber seiner Frau, die das Dreifache ins Haus brachte.
So ging die Arbeit wieder ungestört fort, ständig wurden Zahlen ausgerufen, mit dumpfem Geräusch fielen die Kleiderpacken auf die Tische. Inzwischen hatte Claire eine neue Zerstreuung gefunden. Sie neckte Joseph, den Laufburschen, wegen einer Liebschaft, die er angeblich mit einem in der Stoffmusterabteilung angestellten Fräulein angeknüpft hatte. Dieses Fräulein, achtundzwanzig Jahre alt, mager und blaß, war ein Schützling von Frau Desforges. Sie hatte Mouret eine wahre Trauergeschichte über dieses Mädchen erzählt: sie sei eine Waise, die Letzte aus dem Geschlecht der Fontenailles, einer adeligen Familie aus dem Poitou. Sie sei mit ihrem Trunkenbold von Vater nach Paris gekommen, aber trotz ihrer Armut ehrbar geblieben; leider sei sie nicht genügend ausgebildet, um sich als Gouvernante oder als Klavierlehrerin fortzubringen. Mouret wollte meistens nichts davon wissen, wenn man ihm arme Mädchen von vornehmer Herkunft empfahl; seiner Meinung nach gab es keine unfähigeren, unerträglicheren, unbrauchbareren Geschöpfe. Er nahm indessen Frau Desforges’ Schützling doch auf. Fräulein von Fontenailles verdiente in der Stoffmusterabteilung täglich drei Franken, gerade genug, um in einem Kämmerchen in der Rue d’Argenteuil ihr Leben zu fristen. Ihre traurige Miene, ihre dürftige Kleidung hatten endlich Josephs Herz gerührt. Er gestand seine Leidenschaft nicht ein, aber er errötete, wenn die Mädchen aus der Konfektionsabteilung mit ihm ihren Scherz trieben; denn die Stoffmusterabteilung befand sich in einem benachbarten Raum, und man hatte ihn immer wieder vor der Tür herumlungern sehen.
»Joseph läßt sich so leicht ablenken«, flüsterte Claire, »seine Nase kehrt sich immer wieder nach der Wäscheabteilung.«
Fräulein von Fontenailles half im Augenblick dort bei der Inventur. Da Joseph in der Tat fortwährend nach dieser Abteilung blickte, begannen die Mädchen zu lachen. Er geriet in Verlegenheit und versenkte sich ganz in seine Listen, während Marguerite, um die Lachlust zu unterdrücken, die in ihr aufstieg, weiter, so laut sie konnte, ihre Zahlen schrie.
»Vierzehn Jacken, englisches Tuch, Größe zwei, zu fünfzehn Franken!«
Frau Aurélie wandte sich mit majestätischer Miene zu ihr um und sagte:
»Etwas leiser, Fräulein, wir sind doch nicht in der Markthalle … Sie sind wirklich alle miteinander nicht recht gescheit, daß Sie sich mit solchen Kindereien unterhalten; die Zeit ist doch zu kostbar.«
In diesem Augenblick ereignete sich eine Katastrophe, weil Claire nicht mehr aufgepaßt hatte. Die Mäntel gerieten ins Rutschen und zogen sämtliche Stöße nach sich. Alles, was auf dem Tisch gelegen hatte, glitt auf den Boden hinunter, und im Nu lagen die verschiedenen Haufen kunterbunt übereinander.
»Da haben wir’s, ich habe es ja gesagt«, rief die Direktrice außer sich. »Passen Sie doch ein wenig auf, Fräulein Claire; es ist ja nicht zum Aushalten!«
Da fuhr mit einemmal alles zusammen: Mouret und Bourdoncle erschienen auf ihrer Besichtigungsrunde in der Abteilung. Man hörte die Stimmen wieder hell ausrufen und die Federn kritzeln, während Claire sich beeilte, die Kleidungsstücke vom Boden aufzuheben. Der Chef unterbrach die Arbeit nicht, er blieb schweigend stehen. Als er Denise sah, machte er eine erstaunte Bewegung. Weshalb war sie denn heruntergekommen? schien er zu fragen. Seine Blicke begegneten denen Frau Aurélies. Nach kurzem Zögern entfernte er sich und ging in die nächste Abteilung.
Denise hatte, durch den plötzlichen Eifer ringsum aufmerksam gemacht, den Kopf gehoben, sich aber, als sie Mouret erkannte, gleich wieder über ihre Blätter gebeugt. Seit sie so am Schreiben war, hatte ihre Aufregung sich ein wenig gelegt, sie war ganz bei der Arbeit, entschlossen, ihr Herz zum Schweigen zu bringen und zu tun, was ihr richtig erschien.
Es schlug zehn Uhr, das Getöse im Haus nahm zu; inmitten dieses Lärms durchlief eine Nachricht mit unglaublicher Schnelligkeit alle Abteilungen: jeder Angestellte wußte bereits, daß der Chef am Morgen Denise geschrieben und sie zum Essen eingeladen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher