Das Paradies der Damen - 11
so verdorben, wie man sich erzählte? Eine lange Auseinandersetzung entspann sich über dieses Thema.
»Ach nein«, meinte der Baron, »Sie denken nicht so schlecht von ihnen?«
Mouret verteidigte die Tugend seiner Verkäuferinnen mit einer Überzeugung, über die Vallagnosc lachen mußte. Da trat Bouthemont dazwischen, um dem Chef zu Hilfe zu kommen. Mein Gott, es gab anständige unter ihnen und andere, die es nicht waren. Im Durchschnitt aber hob sich ihr Niveau wohl immer mehr. Früher hatte man nur Mädchen bekommen, die im Leben Schiffbruch gelitten hatten; heute dagegen ließen selbst bessere Familien ihre Töchter für eine Stellung beispielsweise im »Bon- Marché« ausbilden. Alles in allem konnten die Mädchen ehrbar bleiben, wenn sie es nur wollten; sie brauchten wenigstens nicht für Nahrung und Unterkunft zu sorgen wie die Arbeiterinnen, die auf dem Pariser Straßenpflaster herumlungerten. Das Schlimmste war ihre unklare gesellschaftliche Stellung zwischen Arbeiterin und Dame. Durch ihre Berührung mit der großen Welt bekamen sie Geschmack am Luxus, ohne die Bildung und die Mittel für dieses bessere Leben zu haben; daher stammten ihr Elend, ihre Laster.
»Ich jedenfalls kenne keine unausstehlicheren Geschöpfe«, bemerkte Frau von Boves; »man möchte sie zuweilen ohrfeigen.« Nun ließen die Damen ihrem Widerwillen freien Lauf. Wenn schon die Verkäuferinnen eifersüchtig waren auf die gutgekleideten Damen, deren Benehmen sie nachzuahmen suchten, so war doch der Groll der weniger wohlhabenden Kundschaft gegen diese Mädchen in seidenen Kleidern, von denen sie bei einem Kauf für zehn Sous die Unterwürfigkeit einer Magd forderten, noch viel bitterer.
»Es sind armselige Dinger«, schloß Henriette, »käuflich wie ihre Waren.«
Mouret fand die Kraft zu lächeln. Der Baron beobachtete ihn und bewunderte, wie sehr er sich zu beherrschen wußte. Er suchte dem Gespräch schließlich eine andere Wendung zu geben. Henriette schwieg; sie schwankte zwischen dem Wunsch, Denise noch länger draußen warten zu lassen, und der Furcht, daß Mouret, der jetzt wußte, woran er war, fortgehen könnte. Zu guter Letzt erhob sie sich doch und sagte:
»Sie erlauben wohl?«
»Aber selbstverständlich!« rief Frau Marty. »Ich werde Sie inzwischen in Ihren Hausfrauenpflichten vertreten.«
»Sie bleiben noch eine Weile?« sagte Henriette, zu Baron Hartmann gewendet.
»Ja«, erwiderte der Baron, »ich habe mit Herrn Mouret zu sprechen. Wir wollen Ihren kleinen Salon in Beschlag nehmen.«
Sie ging hinaus, während der Baron Mouret nach nebenan führte und die Damen Bouthemont und Vallagnosc überließ. In einer Fensternische des benachbarten Salons vertieften sie sich in ein leises Gespräch. Es handelte sich um die alte Sache.
Mouret war immer noch bestrebt, seinen Plan zu verwirklichen, das heißt, den ganzen Block um sich her für das »Paradies der Damen« in Anspruch zu nehmen, von der Rue Monsigny bis zur Rue de la Michodière und von der Rue Neuve-Saint-Augustin bis zur Rue du Dix-Décembre. Noch war in diesem gewaltigen Block das Randgrundstück an der neu durchgebrochenen Straße nicht in seinem Besitz, und dies genügte, um ihm seinen Triumph zu verderben; er wollte seine Eroberung unbedingt durch eine Prachtfassade an dieser Stelle krönen. Solange der Haupteingang sich in der Rue Neuve-Saint-Augustin befand, in dieser dunklen Straße, blieb sein Werk unvollständig; er wollte es dem neuen Paris an einer jener modernen Straßen vor Augen führen, wo im hellen Sonnenschein die Menge vorüberzog. Allein bisher war er am eigensinnigen Widerstand der Immobilienbank gescheitert, die an ihrem ursprünglichen Gedanken festhielt, hier dem Grand-Hotel eine Konkurrenz zu errichten. Die Baupläne waren fertig, man erwartete nur die Eröffnung der Rue du Dix-Décembre, um mit den Arbeiten zu beginnen. Bei seinem letzten Vorstoß aber hatte Mouret den Baron Hartmann fast überredet.
»Wir hatten gestern eine Verwaltungsratsitzung«, begann der Bankier, »und ich bin nur gekommen, weil ich dachte, daß ich Sie hier treffen würde. Ich wollte Sie vom neuesten Stand der Dinge informieren. Die Herren leisten noch immer Widerstand.«
»Das ist wirklich unvernünftig«, meinte Mouret mit einer ungeduldigen Geste. »Was wenden sie denn ein?«
»Mein Gott, das gleiche, was auch ich immer wieder sage: Ihre geplante Fassade sei nichts als eine Verzierung, und man müßte große Summen für eine einfache Reklame
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