Das Paradies der Damen - 11
ganz raffinierte Komödie. Denn hätte sie am ersten Tag nachgegeben, so hätte Mouret sie gewiß am anderen Morgen schon vergessen gehabt; durch ihre Weigerung jedoch hatte sie seine Begierden aufgestachelt, ihn verrückt, zu jeder Torheit fähig gemacht. Eine in allen Lastern erfahrene Dirne hätte nicht durchtriebener handeln können als diese Unschuld. Wenn Bourdoncle sie sah mit ihren klaren Augen, ihrem sanften Gesicht, ihrer schlichten Haltung, wurde er geradezu von Furcht ergriffen, als hätte er eine verkappte Menschenfresserin vor sich, das düstere Rätsel alles Weiblichen, den Tod unter der Maske der Jungfrau. Wie sollte er die Taktik dieser falschen Unschuld zunichte machen? Er suchte immer hartnäckiger ihre Schliche zu durchschauen, in der Hoffnung, sie eines Tages zu entlarven. Sicherlich würde sie einen Fehler begehen, er würde sie mit einem Liebhaber überraschen, und dann konnte man sie von neuem davonjagen, und das Haus würde wieder den geregelten Gang einer gut funktionierenden Maschine annehmen.
»Passen Sie auf wie ein Luchs, Herr Jouve«, pflegte er zu dem Inspektor zu sagen; »ich werde Sie belohnen.«
Allein Jouve ging dabei recht lässig zu Werk; er fragte sich, ob es nicht besser sei, sich gut zu stellen mit diesem Kind, das von heute auf morgen die Herrin des Hauses werden konnte. Wenn er sich ihr aucht nicht mehr zu nähern wagte, so hinderte ihn das doch nicht, sie ganz verteufelt anziehend zu finden.
»Ich passe ja auf«, versicherte er; »aber ich kann nichts entdecken, auf Ehre!«
Indessen waren trotz der äußerlichen Achtung allerlei abscheuliche Geschichten über Denise im Umlauf. Man erzählte sich jetzt allgemein, daß Hutin früher ihr Geliebter gewesen sei; man wagte nicht zu behaupten, daß er es noch immer sei, aber man vermutete, daß sie sich von Zeit zu Zeit träfen. Auch Deloche schlafe mit ihr, wußte man zu berichten; sie hätten Zusammenkünfte in verschiedenen dunklen Winkeln, wo sie stundenlang plauderten. Der reinste Skandal!
»Nichts mit dem Ersten in der Seidenabteilung? Auch nichts mit dem jungen Mann bei den Spitzen?« fragte Bourdoncle wiederholt.
»Nein, noch nichts«, versicherte der Inspektor.
Bourdoncle rechnete besonders darauf, sie mit Deloche zu überraschen. Eines Tages hatte er selbst bemerkt, wie sie im Keller miteinander gelacht hatten. Einstweilen aber behandelte er das junge Mädchen wie einen ernstzunehmenden Gegner, er unterschätzte sie keineswegs; er war überzeugt, daß sie stark genug sein würde, selbst ihn, der doch schon zehn Jahre im Haus war, zu Fall zu bringen, wenn sie eines Tages die Partie gewinnen sollte.
»Achten Sie besonders auf den jungen Mann aus der Spitzenabteilung«, schloß er jedesmal. »Sie stecken immer beisammen. Wenn Sie sie erwischen, rufen Sie mich. Alles übrige soll meine Sache sein.«
Mouret lebte inzwischen in Herzensangst und Unruhe. War es möglich, daß dieses Kind ihn dermaßen quälte? Immer wieder tauchte sie in seiner Erinnerung auf, wie sie zum ersten Mal im »Paradies der Damen« erschienen war, mit ihren plumpen Schuhen und ihrem fadenscheinigen schwarzen Kleidchen. Sie hatte kaum ein vernünftiges Wort hervorgebracht, alle hatten sich über sie lustig gemacht, er selbst hatte sie anfangs häßlich gefunden – und jetzt hätte sie ihn mit einem Blick dahin gebracht, daß er sich ihr zu Füßen geworfen hätte! Lang war sie die Letzte im Hause geblieben, herumgestoßen, verhöhnt, von ihm selbst wie ein Unikum behandelt. Monate hindurch hatte er beobachten wollen, wie so ein junges Mädchen sich entwickelte, diese Erfahrung schien ihn zu belustigen, und er begriff nicht, daß er dabei sein Herz aufs Spiel setzte. Sie aber wuchs allmählich und wurde ihm gefährlich. Vielleicht hatte er sie von der ersten Minute an geliebt, selbst damals schon, als er nur Mitleid für sie zu empfinden geglaubt hatte. Entdeckt aber hatte er seine Neigung für sie erst an jenem Abend, als sie miteinander unter den Kastanien der Tuilerien spazierengegangen waren. Von da ab hatte er erst zu leben begonnen; wie es dann weitergegangen war, wußte er nicht mehr. Von Stunde zu Stunde hatte sich sein Fieber gesteigert, sein ganzes Wesen hatte sich ihr hingegeben. War es möglich? Ein solches Kind! Er hatte sich lange aufgelehnt gegen diese Leidenschaft; zuweilen war er über sich selbst entrüstet und wollte sich von diesem albernen Bann befreien. Was besaß sie denn, was ihn so an sie fesselte? Hatte er sie denn
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