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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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nicht in ihren primitivsten Anfängen gesehen, war sie nicht sozusagen aus Mitleid in sein Haus aufgenommen worden? Wenn es sich wenigstens um eines jener herrlichen Geschöpfe gehandelt hätte, welche alle Welt in Aufruhr versetzten; aber dieses kleine, unscheinbare Mädchen! Sie hatte alles in allem eines jener Dutzendgesichter, von denen man nicht spricht. Sie konnte nicht einmal besonders klug sein, denn er erinnerte sich, wie ungeschickt sie sich zu Beginn als Verkäuferin gezeigt hatte. Aber nach jeder Zornesanwandlung wurde seine Leidenschaft nur tiefer, es packte ihn gleichsam eine heilige Furcht, sein Idol beleidigt zu haben. Alles, was es Gutes gab an einer Frau, hatte sie mitgebracht: Mut, Heiterkeit, Einfachheit, und von ihrer Sanftmut strömte ein Zauber wie von einem köstlichen, durchdringenden Parfüm aus. Man konnte nicht mit Gleichgültigkeit an ihr vorübergehen wie an der ersten besten. Ihr Zauber wirkte mit langsamer, unbezwinglicher Macht, man war ihr verfallen für immer, wenn sie nur zu lächeln geruhte. Dann strahlte alles in ihrem hellen Gesicht, ihre Augen, ihre Wangen, ihr Kinn mit den Grübchen, und ihr reiches blondes Haar schien zu leuchten in königlicher, siegreicher Schönheit. Er gestand sich ein, daß er besiegt war, sie war ebenso klug wie schön, und ihre Klugheit entsprang dem Besten ihres Wesens. Während die anderen Verkäuferinnen in seinem Haus nur eine oberflächliche Bildung hatten, jenen Firnis, der bei heruntergekommenen Mädchen bald wieder abbröckelt, bewahrte sie, ohne sich eine falsche Eleganz beizulegen, ihre natürliche Anmut und Frische. Die vernünftigsten und praktischsten kaufmännischen Gedanken reiften unter dieser schmalen Stirn, deren reine Linien festen Willen und Ordnungssinn verrieten. Und er war versucht, die Hände zu falten und sie um Verzeihung zu bitten für die Kränkungen, deren er in Stunden innerer Auflehnung sich schuldig gemacht hatte.
    Warum weigerte sie sich nur mit solcher Hartnäckigkeit? Zwanzigmal schon hatte er sie angefleht und jedesmal seine Anerbietungen erhöht, ihr Geld, sehr viel Geld angeboten. Dann hatte er sich gesagt, daß sie vielleicht ehrgeizig sei, und hatte ihr versprochen, sie zur Direktrice zu ernennen, sobald eine Abteilung frei werde. Aber sie weigerte sich immer noch! Es war für ihn ein Rätsel, dieser Kampf steigerte sein Verlangen bis zur Erbitterung. Das war doch nicht möglich, dieses Kind mußte endlich nachgeben; er hatte die Sittsamkeit einer Frau stets als eine zweifelhafte Sache betrachtet. Er sah kein anderes Ziel mehr vor sich, alles ging in diesem Verlangen unter, sie endlich bei sich zu haben, sie in den Armen zu halten, sie zu küssen; und bei dieser Vorstellung hämmerte das Blut in seinen Adern, er wurde ganz verstört und zitterte in seiner Ohnmacht.
    In dieser schmerzlichen Gemütsstimmung flössen seine Tage dahin. Am Morgen beim Aufstehen stand Denises Bild ihm vor Augen, in der Nacht hatte er von ihr geträumt, sie folgte ihm an seinen Schreibtisch, wo er von neun bis zehn Wechsel und Aufträge unterschrieb, eine Arbeit, die er mechanisch erledigte, wobei er sie immer an seiner Seite fühlte und ihr ruhiges Nein zu hören glaubte. Um zehn Uhr folgte die übliche Beratung mit seinen Teilhabern; man besprach Fragen der inneren Organisation, man überprüfte die Einkäufe, erörterte Werbemaßnahmen. Sie war stets zugegen, er hörte ihre weiche Stimme mitten unter den Zahlen, in den verwickeltsten finanziellen Überlegungen sah er ihr sanftes Lächeln vor sich. Nach der Beratung begleitete sie ihn weiter. Sie machte mit ihm den täglichen Rundgang durch die Abteilungen, kehrte mit ihm nachmittags in sein Büro zurück und stand unsichtbar neben seinem Sessel, wenn er von zwei bis vier alle möglichen Leute empfing, Fabrikanten, Großindustrielle, Bankiers, gelegentlich sogar Erfinder. Es war ein ununterbrochenes Kommen und Gehen von Reichtum und Verstand, ein Tanz der Millionen. Und nach jedem Geschäft, das er abgeschlossen hatte, tauchte sofort die Frage in ihm auf: Wozu dieses ungeheure Vermögen, wenn sie doch nicht wollte? Um fünf Uhr endlich mußte er die Post unterzeichnen; wieder begann eine mechanische Tätigkeit, während deren sie gebieterisch von ihm Besitz ergriff, um ihn dann während der einsamen Stunden der Nacht ganz für sich allein zu haben. Am andern Morgen fing alles von vorn an, und der Schatten dieses Kindes genügte, ihn inmitten der ungeheuren Arbeit, die er täglich

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