Das Paradies der Damen - 11
großes Geschrei. Die Menge eilte hinzu, es herrschte allgemeines Entsetzen. Ein Pferdeomnibus hatte an der Ecke der Rue Neuve-Saint-Augustin vor dem Springbrunnen einen Mann umgefahren. Der Kutscher auf seinem Bock hatte seine Pferde, zwei kräftige Rappen, aufgeregt zurückgerissen; er fluchte, was er konnte.
»Himmeldonnerwetter, geben Sie doch acht, Sie blöder Kerl!«
Die Menge umringte den Verletzten; zufällig war ein Polizist zur Stelle. Der Kutscher schrie und wütete noch immer.
»Hat man jemals einen so einfältigen Menschen gesehen? Tut mitten auf der Straße, als ob er da zu Hause wäre! Ich habe ihn noch angerufen – und auf einmal lag er unter den Rädern.«
Ein Anstreicher, der in der Nachbarschaft beschäftigt war, eilte jetzt herbei und rief dem Kutscher zu:
»Schrei doch nicht so, ich habe ja alles gesehen. Er hat sich geradezu druntergeworfen, er muß nicht ganz richtig im Kopf sein.«
Es mengten sich noch andere ein, und man kam allgemein zu der Ansicht, daß es ein Selbstmordversuch gewesen sei. Der Polizist nahm ein Protokoll auf. In diesem Augenblick kam Denise hinzu. Mitleidig beugte sie sich über den ohnmächtigen, mit beschmutzten und blutigen Kleidern auf dem Straßenpflaster liegenden Mann.
»Großer Gott, das ist ja Herr Robineau!« rief sie in schmerzlichem Erstaunen aus.
Der Polizist fragte sie sofort, ob sie Näheres wisse, und sie gab Namen und Adresse des Verunglückten an. Dank der Geschicklichkeit des Kutschers war der Omnibus noch etwas ausgewichen, so daß nur die Beine Robineaus unter die Räder geraten waren. Vier Männer nahmen den Verletzten auf und trugen ihn in eine Apotheke in der Rue Gaillon, während der Omnibus langsam weiterfuhr. Denise folgte Robineau. Es war nicht sogleich ein Arzt aufzutreiben, mittlerweile erklärte aber der Apotheker, es bestehe keine unmittelbare Gefahr; am besten schaffe man den Verwundeten nach Hause, da er ja in der Nachbarschaft wohne. Ein Mann ging zur nächsten Polizeiwache, um eine Tragbahre zu holen. Da kam Denise auf den guten Gedanken, vorauszugehen, um Frau Robineau auf den fürchterlichen Schlag vorzubereiten. Allein sie konnte sich nur mit Mühe durch die Menge durcharbeiten, die sich auf der Straße drängte; die abenteuerlichsten Gerüchte waren bereits im Umlauf, jetzt wurde schon erzählt, es handle sich um einen Ehemann, den der Liebhaber seiner Frau durch das Fenster auf die Straße geworfen habe.
In der Rue Neuve-des-Petits-Champs sah Denise von weitem Frau Robineau in der Tür ihres Ladens stehen. Sie tat, als komme sie zufällig vorüber, und begann ein Gespräch, um einen günstigen Augenblick abzuwarten. Das Geschäft zeigte die Unordnung und Öde, die das nahende Ende ankündigte. Seit zwei Monaten führte Robineau ein Höllenleben, um den Bankrott noch etwas hinauszuschieben.
»Ich habe Ihren Mann auf der Place Gaillon gesehen«, tastete sich Denise leise vor, nach dem sie endlich in den Laden getreten war.
Frau Robineau, die mit unruhigen Blicken fortwährend auf die Straße schaute, erwiderte lebhaft:
»Ach ja? Ich erwarte ihn nämlich, er sollte schon hier sein. Heute morgen ist Gaujean gekommen, und sie sind miteinander fortgegangen.«
Sie war noch immer reizend; aber sie erwartete ein Kind, und die doppelte Anspannung ihres Zustandes und der geschäftlichen Sorgen lastete sichtlich auf ihr.
»Mein liebes Kind«, sagte sie mit traurigem Lächeln, »wir wollen Ihnen nichts verbergen – Das Geschäft geht schlecht, mein armer Mann schläft überhaupt nicht mehr. Heute hat ihn Gaujean wieder wegen überfälliger Wechsel gequält … Nun werde ich aber langsam unruhig!«
Sie wollte zur Türe gehen, allein Denise trat ihr in den Weg. Sie hatte ein dumpfes Gemurmel vernommen, das sich auf der Straße näherte; offenbar brachte man die Tragbahre. Nun mußte sie endlich sprechen.
»Beunruhigen Sie sich nicht, es ist keine unmittelbare Gefahr; ja, ich habe Herrn Robineau gesehen, es ist ihm ein Unglück zugestoßen … Man bringt ihn schon, bitte machen Sie sich keine Sorge!«
Die junge Frau hörte sie leichenblaß an, ohne zu begreifen. Die Straße füllte sich mit Menschen, die Droschkenkutscher, die anhalten mußten, fluchten, und schon brachten die Träger die Bahre und setzten sie im Laden ab.
»Es war ein Unfall«, sagte Denise, entschlossen, den Selbstmordversuch zu verheimlichen. »Er stand auf der Straße und ist unter die Räder eines Omnibusses geglitten. Es sind nur die Beine verletzt, ein
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