Das Paradies der Damen - 11
fahles Licht drang. Anfangs hatten die Eltern ihr krankes Kind in ihr eigenes Zimmer gelegt gehabt, das auf die Straße ging. Allein der Anblick des »Paradieses der Damen« da gegenüber war der Kranken eine Qual gewesen, und sie hatten sie in ihre Kammer zurücktragen müssen. Hier lag sie nun unter ihren Decken, so schmächtig und schwach, daß man ihren Körper kaum mehr wahrnahm. Ihre mageren Arme mit den fieberheißen Händen tasteten fortwährend suchend auf der Bettdecke umher.
Denise betrachtete sie, das Herz von Mitleid erfüllt. Sie hielt an sich aus Furcht, die Tränen könnten ihr aus den Augen stürzen. Endlich murmelte sie:
»Ich bin gleich gekommen. Wenn ich Ihnen nur helfen könnte! … Soll ich hierbleiben? Kann ich etwas tun?«
Geneviève blickte sie unverwandt an und erwiderte dann stockend:
»Nein, danke, ich brauche nichts, ich wollte Sie bloß noch einmal umarmen.«
Tränen traten in ihre Augen. Denise neigte sich gerührt zu ihr hinab und küßte sie auf die fieberheißen Wangen. Die Kranke hatte die Arme um ihren Nacken gelegt, preßte sie an sich und hielt sie in einer verzweifelten Umarmung fest. Dann irrten ihre Blicke zum Vater hinüber.
»Soll ich hierbleiben?« wiederholte Denise. »Vielleicht kann ich irgend etwas für Sie erledigen?«
»Nein, nein.«
Hartnäckig sah sie auf ihren Vater. Da begriff er endlich und zog sich zurück; man hörte, wie er mit schweren Schritten die Treppe hinabging.
»Sagen Sie mir, lebt er mit diesem Frauenzimmer zusammen?« fragte die Kranke sogleich. Sie ergriff die Hand der Kusine und hieß sie sich auf den Rand des Bettes setzen. »Ja, ich wollte Sie sehen, weil nur Sie mir sagen können … Nicht wahr, sie leben zusammen?«
Überrascht von diesen Fragen, mußte Denise stotternd die Wahrheit bekennen, all die Gerüchte erzählen, die im Geschäft in Umlauf waren. Claire war des Burschen längst überdrüssig und hatte ihm die Türe verschlossen; Colomban verfolgte sie untröstlich überallhin und suchte von Zeit zu Zeit eine Begegnung mit ihr zu erreichen; er benahm sich mit der Unterwürfigkeit eines geprügelten Hundes. Man erzählte sich übrigens, daß er im Begriff sei, im »Louvre« einzutreten.
»Wenn Sie ihn so sehr lieben, kann er ja noch zurückkommen«, fuhr Denise fort, um die Kranke mit dieser letzten Hoffnung einzuschläfern. »Sie müssen rasch gesund werden, dann wird er seinen Fehler erkennen und Sie heiraten.«
Geneviève winkte ab.
»Nein, lassen Sie’s gut sein, ich weiß zu genau, daß alles vorbei ist … Ich sage ja nichts, weil ich Papa weinen höre und weil ich Mama nicht noch kränker machen will. Aber ich fühle, daß es aus ist mit mir, und wenn ich Sie heute habe rufen lassen, dann nur aus Angst, ich könnte den Abend nicht mehr erleben … Mein Gott, wenn ich daran denke, daß er nicht einmal glücklich ist!«
Denise wollte ihr die Todesgedanken ausreden und meinte, ihr Zustand sei keineswegs so besorgniserregend; aber Geneviève schnitt ihr kurz das Wort ab. Nach einer Weile bat sie:
»So, nun bleiben Sie nicht länger, Sie haben ja zu tun; ich danke Ihnen. Ich mußte nur Klarheit haben; nun bin ich zufrieden. Wenn Sie ihn wiedersehen, sagen Sie ihm, daß ich ihm verzeihe. Leben Sie wohl, meine gute Denise; küssen Sie mich noch einmal, es ist das letztemal.«
Denise küßte sie und versuchte abermals, ihr das auszureden.
»Aber nein«, sagte sie, »was quälen Sie sich nur so? Sie brauchen Pflege, sonst nichts.«
Doch die Kranke schüttelte eigensinnig den Kopf und lächelte, sie wußte es besser. Als ihre Kusine sich endlich zur Türe wandte, sagte sie noch:
»Warten Sie: klopfen Sie mit dem Stock, damit Papa heraufkommt; ich fürchte mich so, wenn ich allein bin.«
Als Baudu dann in dem kleinen, dumpfen Zimmer stand, wo er ganze Stunden auf einem Sessel sitzend verbrachte, tat sie sehr vergnügt und rief Denise zu:
»Morgen brauchen Sie gar nicht zu kommen; aber am Sonntag erwarte ich Sie, dann bleiben Sie den Nachmittag über bei mir.«
Am folgenden Morgen um sechs Uhr starb Geneviève nach einem vierstündigen schweren Todeskampf.
Die Beerdigung fand am Sonntag darauf statt, an einem düsteren, unfreundlichen Tag. Mit einem großen Strauß weißer Rosen geschmückt, stand der schmale Sarg in dem finsteren Toreingang des Hauses. Um neun Uhr kam Denise, um bei ihrer Tante zu bleiben. Doch Frau Baudu, die selbst nicht mitgehen konnte, bat sie, den Leichenzug zu begleiten und auf den Onkel
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