Das Paradies der Damen - 11
Arzt ist schon unterwegs. Beunruhigen Sie sich nicht!«
Ein Zittern befiel Frau Robineau, sie schrie auf, dann stürzte sie an der Bahre nieder. Robineau war wieder zu Bewußtsein gekommen. Als er seine Frau erblickte, rannen zwei schwere Tränen über seine Wangen. Schluchzend küßte sie ihn und sah ihn mit starren Blicken an.
Um die Neugierigen abzuwehren, hatte Denise den Rolladen an der Tür herabgelassen. In dem Halbdunkel, das nun über dem Geschäft lag, kniete Frau Robineau immer noch vor ihrem Mann und stöhnte:
»Oh, mein Lieber, mein Lieber …«
Sie fand nichts als diese Worte; er aber legte angesichts dieses Schmerzes ein Geständnis ab.
»Verzeih mir, ich war wahnsinnig … Als der Rechtsanwalt mir in Gegenwart Gaujeans erklärte, daß morgen die Siegel angelegt werden sollten, war mir, als drehte sich alles vor meinen Augen. Weiter erinnere ich mich an gar nichts mehr. Ich ging die Rue de la Michodière hinab, ich glaubte, die Leute im ›Paradies der Damen‹ machten sich über mich lustig, dieses verdammte Haus schien über mich hereinzustürzen … Als dann der Omnibus um die Ecke bog, habe ich mich einfach daruntergeworfen …«
Entsetzt über dieses Geständnis sank Frau Robineau zu Boden. Großer Gott, er hatte sich das Leben nehmen wollen! Sie ergriff die Hand Denises, die sich voll tiefsten Mitleids zu ihr hinabgebeugt hatte. Der Verwundete, durch die Aufregung erschöpft, hatte abermals das Bewußtsein verloren. Da erleichterte Frau Robineau ihr Herz.
»Ach, wenn ich Ihnen erzählen würde … Meinetwegen wollte er sterben. Fortwährend hat er gesagt: ich habe dich bestohlen, das Geld gehörte dir. In der Nacht hat er von diesen sechzigtausend Franken geträumt. Wenn er aufwachte, war er in Schweiß gebadet und machte sich die schwersten Vorwürfe; wenn man kein tüchtiger Kaufmann sei, dürfe man nicht das Geld anderer aufs Spiel setzen. Sie wissen ja, daß er immer nervös und leicht erregbar war. Schließlich sah er mich in seinen schrecklichen Träumen auf der Straße in Lumpen gehen, mich, die er so liebte, die er reich und glücklich sehen wollte …«
Sie wandte sich wieder zu ihm, und als sie sah, daß er abermals die Augen geöffnet hatte, fuhr sie mit bebender Stimme fort:
»Ach, mein Lieber, warum hast du das getan? Hältst du mich für so schlecht? Es ist mir ganz gleichgültig, ob wir ruiniert sind oder nicht. Wenn wir nur zusammenbleiben, sind wir schon glücklich. Laß sie alles nehmen, gehen wir irgendwohin, wo du nichts mehr von ihnen hörst; du wirst arbeiten, und es wird alles gut werden.«
Sie lehnte ihre Stirn an die blasse Wange ihres Mannes, und beide schwiegen. Das Geschäft schien hinter der geschlossenen Tür im Zwielicht zu schlummern. Draußen hörte man den Lärm der Straße, das Rollen der Wagen, das Gedränge auf den Bürgersteigen. Denise, die alle Augenblicke hinausschaute, rief endlich:
»Der Arzt ist da!«
Die Untersuchung ergab, daß bloß das linke Bein gebrochen war; es war ein einfacher Bruch, man brauchte keinerlei Verwicklung zu befürchten. In dem Augenblick, als sie sich anschickten, die Tragbahre in das dahinterliegende Zimmer zu bringen, erschien Gaujean, um zu berichten, daß auch der letzte Schritt, den er unternomemn hatte, fehlgeschlagen war; die Konkurserklärung war unausweichlich geworden.
»Was ist geschehen?« murmelte er.
Denise erzählte es ihm kurz. Er wurde sehr verlegen. Robineau sagte mit schwacher Stimme zu ihm:
»Ich bin Ihnen nicht böse, aber ein wenig ist es doch Ihre Schuld.«
»Mein Gott, es hätten festere Schultern dazu gehört als die unsrigen; Sie wissen, daß es mir nicht viel besser geht als Ihnen.«
Man hob die Tragbahre empor. Der Verwundete fand noch die Kraft zu sagen:
»Auch festere Schultern wären darunter zusammengebrochen. Ich begreife ja, daß die alten Starrköpfe wie Bourras und Baudu dabei auf der Strecke bleiben – aber wir, die wir jung sind und dem neuen Gang der Dinge aufgeschlossen … Nein, Gaujean, da bricht eine Welt zusammen.«
Man trug ihn fort. In einer Aufwallung, in die sich fast ein Schimmer von Freude mischte, daß die Mühsal mit dem Geschäft nun endlich vorbei war, umarmte Frau Robineau Denise. Gaujean entfernte sich mit dem jungen Mädchen und erklärte ihr unterwegs, dieser arme Teufel von Robineau habe ganz recht, es sei unsinnig, gegen das »Paradies der Damen« ankämpfen zu wollen. Auch er sei verloren, wenn er drüben nicht wieder in Gnaden aufgenommen werde. Er
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