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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Fensteröffnungen konnte man jetzt in das Innere blicken, sah die elenden Zimmerchen, das finstere Treppenhaus, in das seit zweihundert Jahren kein Sonnenstrahl gedrungen war.
    »Ach, Sie sind es«, sagte er endlich, als er sie erkannte. »Sie arbeiten rasch, diese Diebe, nicht wahr?«
    Im Innersten bewegt durch den traurigen Anblick dieses alten Hauses, wagte sie nichts weiter zu sagen. Sie konnte selbst die Blicke nicht abwenden von diesem jammervollen Ende. Stück um Stück brach aus dem Mauerwerk und polterte zu Boden. Ganz oben, in einem Winkel des Zimmerchens, das sie einst bewohnt hatte, sah sie noch in schwarzen, unsicheren Buchstaben das Wort »Ernestine«, das einst mit Kerzenruß an die Decke geschrieben worden war, und sie erinnerte sich der traurigen Tage der Not, die sie hier verbracht hatte.
    Mittlerweile waren die Arbeiter, um die Sache zu beschleunigen, auf den Gedanken gekommen, die Hacken unten anzusetzen. Die Mauer wankte.
    »Wenn sie euch nur alle begraben würde!« schrie Bourras wütend.
    Man vernahm ein fürchterliches Krachen, entsetzt stoben die Arbeiter nach allen Richtungen auseinander. Die Mauer stürzte nieder und riß im Fall die ganze Behausung mit. Nicht eine Zwischenwand blieb stehen; als die Staubwolke sich verzogen hatte, sah man nur mehr einen Trümmerhaufen.
    »Mein Gott!« hatte der Alte aufgeschrien, als sei ihm der Schlag durch alle Glieder gefahren.
    Bestürzt stand er da, niemals hätte er geglaubt, daß das Ende so rasch kommen würde. Er starrte auf die Lücke an der Seite des »Paradieses der Damen«, das endlich von dem Schandfleck befreit war.
    »Herr Bourras«, fing Denise wieder an, während sie den Alten wegzuführen versuchte, »Sie wissen, daß man Sie nicht im Stich lassen wird. Es wird für Sie gesorgt werden.«
    Er richtete sich hoch auf.
    »Ich brauche nichts … Sie sind von diesen Herrschaften geschickt, nicht wahr? Sagen Sie ihnen, daß der alte Bourras noch arbeiten kann und Arbeit findet, wo er will. Es wäre wirklich gar zu einfach, gegenüber Leuten, die man niedergetrampelt hat, hinterher den Gnädigen zu spielen.«
    »Ich bitte Sie, nehmen Sie es doch an«, flehte sie. »Tun Sie mir diesen Kummer nicht an.«
    Aber er schüttelte seine Löwenmähne.
    »Nein, nein, es ist aus, guten Abend … Leben Sie glücklich! Sie sind jung, hindern Sie die Alten nicht, mit ihren Ansichten dahinzugehen.«
    Er warf einen letzten Blick auf den Schutthaufen, dann schlich er fort. Sie blickte ihm eine Weile nach; an der Ecke der Place Gaillon bog er ein und verschwand.
    Denise stand einen Augenblick da, dann trat sie bei ihrem Onkel ein. Der Tuchhändler war allein in seinem dunklen Laden. Nur am Morgen und am Abend kam eine Haushälterin, um ihm seine einfachen Mahlzeiten zu bereiten und ihm beim Schließen der Fensterläden behilflich zu sein. Er verbrachte ganze Tage in seiner Einsamkeit, ohne daß ihn jemand störte, und wenn doch hier und da eine Kundin kam, war er so betroffen, daß er die verlangten Waren kaum zu finden vermochte.
    »Geht es Ihnen besser, Onkel?« fragte Denise.
    »Ja, ja, sehr gut, danke«, erwiderte er und ließ sich in seiner ewigen Wanderung von einem Ende des finsteren Ladens zum andern gar nicht stören.
    »Haben Sie das Getöse gehört?« fragte sie; »das Haus nebenan ist eingestürzt.«
    »Ach ja«, murmelte er mit erstaunter Miene, »es muß das Haus gewesen sein. Ich fühlte, wie der Boden zitterte … Als ich heute morgen die Arbeiter auf dem Dach sah, habe ich meine Tür geschlossen.«
    Er machte eine Geste, als ob er sagen wollte, daß diese Dinge ihn nicht mehr interessierten.
    Jedesmal wenn er an der Kasse vorbeikam, betrachtete er das leere Bänkchen, auf dem seine Frau und seine Tochter so lange gesessen hatten. Das Haus war verwaist; alle, die er geliebt hatte, waren fort, und sein Geschäft stand vor einem schmählichen Ende. Sein regelmäßiger, schwerer Schritt hallte zwischen den alten Mauern wider, als wanderte er auf dem Grab seiner Liebe herum.
    Endlich wagte Denise auf den Zweck ihres Besuchs zu kommen.
    »Sie können nicht länger hier bleiben, Onkel, Sie müssen einen Entschluß fassen.«
    Ohne in seinem Auf und Ab innezuhalten, erwiderte er:
    »Ganz recht, aber was soll ich anfangen? Ich habe versucht, auszuverkaufen, aber es ist niemand gekommen … Mein Gott, eines Morgens werde ich schließen und meiner Wege gehen.«
    Sie wußte, daß ein Bankrott nicht mehr zu befürchten war. Die Gläubiger hatten es angesichts

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