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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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seiner leblosen Front. Lediglich in der Mitte dieser toten Wand breitete sich wie eine Siegesfahne ein großes, gelbes Plakat aus, das in halbmeterhohen Buchstaben den Sonderverkauf im »Paradies der Damen« anzeigte. Im Vordergrund der Abbildung sah man die Rue du Dix-Décembre, die Rue de la Michodière und die Rue Monsigny, angefüllt mit kleinen, schwarzen Gestalten und unwirklich ins Breite verzerrt, wie um der Kundschaft der ganzen Welt Platz zu bieten. Der Bau selbst war in übertriebener Größe dargestellt, er schien, aus der Vogelperspektive gesehen, im gleißenden Sonnenlicht dazuliegen. Jenseits davon breitete sich Paris aus, ein verkleinertes, von dem Ungeheuer schon halb verschlungenes Paris: die Häuser in der Nähe waren klein wie Hütten, weiter in der Ferne verwandelten sie sich in ein kaum unterscheidbares Gewirr von Umrissen, immer winziger werdend, bis sie sich in der endlos am Horizont sich dehnenden Ebene verloren.
    Seit dem Morgen hatte die Menge stetig zugenommen. Um zwei Uhr mußte schließlich eine Abteilung von Polizisten einschreiten, um den Verkehr aufrechtzuerhalten. Kein Warenhaus hatte je durch einen solchen Aufwand an Reklame die Stadt in Aufregung versetzt. Das »Paradies der Damen« gab jetzt jährlich nahezu sechshunderttausend Franken für Anzeigen und Plakate aus; vierhunderttausend Kataloge wurden jedes Jahr versandt; für hunderttausend Franken Stoffe wurden als Muster zerschnitten.
    Was die Neugierde noch mehr aufstachelte, war eine Katastrophe, von der im Augenblick ganz Paris sprach: der Brand der »Vier Jahreszeiten«, jenes großen Warenhauses, das Bouthemont in der Nähe der Oper vor kaum drei Wochen eröffnet hatte. Die Zeitungen brachten eine Fülle von Einzelheiten: wie das Feuer durch eine nächtliche Gasexplosion entstanden war, wie die entsetzten Verkäuferinnen im Hemd geflüchtet waren, wie Bouthemont fünf von ihnen heldenmütig auf seinen Armen aus dem Brand getragen hatte. Der enorme Schaden war übrigens durch eine Versicherung gedeckt; das Publikum zuckte die Achseln und sagte, das sei eine vorzügliche Reklame. Und sofort wandte das Interesse sich wieder dem »Paradies der Damen« zu. Diesem Mouret gelang doch alles! Es war, als stünden ihm sogar die Flammen zu Diensten und bemühten sich, ihm die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen. Man erging sich in Berechnungen, wieviel er in diesem Monat verdienen würde, man schätzte den um so breiteren Menschenstrom ab, der sich nun durch seine Türen wälzen mußte, da der Gegenspieler notgedrungen hatte schließen müssen.
    Einen Augenblick war Mouret beunruhigt gewesen durch den Gedanken, daß Frau Desforges, der er gewissermaßen sein Vermögen verdankte, jetzt gegen ihn war. Auch die finanzielle Spielerei Baron Hartmanns, der sein Kapital in zwei Konkurrenzunternehmen anlegte, verdroß ihn. Hauptsächlich aber ärgerte ihn, daß er nicht selber auf eine geniale Idee Bouthemonts gekommen war: hatte dieser Bursche doch den Einfall gehabt, sein Haus vom Pfarrer der Madeleine-Kirche einweihen zu lassen! Es war eine ganz merkwürdige Feier gewesen, das Allerheiligste mitten unter Korsetts und Damenkleidern. Die Zeremonie hatte freilich nicht verhindert, daß das Warenhaus abbrannte, aber sie war als Reklame mehr wert als Anzeigen für eine Million Franken. Mouret träumte seither davon, zu sich den Erzbischof kommen zu lassen.
    Auf der riesigen Uhr über dem hohen Portal schlug es drei. An die hunderttausend Käuferinnen drängten sich um diese Zeit in den Gängen und Hallen. Draußen stand Wagen an Wagen, vom einen Ende der Rue du Dix-Décembre bis zum andern. Jede entstehende Lücke in der Reihe füllte sich sogleich wieder. Vor dem Getümmel der Wagen und Pferde flüchteten die erschreckten Fußgänger auf die Verkehrsinseln, die Bürgersteige waren schwarz von Leuten, es war ein unvorstellbarer Tumult.
    Vor einem Schaufenster stand neben Frau Guibal Frau von Boves mit ihrer Tochter Blanche, beide in Bewunderung versunken.
    »Schau, Mama, diese Leinenkostüme zu neunzehn Franken fünfundsiebzig!«
    »Sie sind auch nicht mehr wert«, sagte Frau Guibal geringschätzig. »Diese Fähnchen gehen schon beim Ansehen entzwei.«
    Seitdem Herr von Boves, von der Gicht geplagt, an einen Sessel gefesselt war, waren die Damen intime Freundinnen geworden. Die Gattin ließ sich die Geliebte gefallen; es war ihr sogar angenehmer, wenn die Sache in ihrem Haus stattfand, denn sie bekam dabei etwas Taschengeld in die Hand, kleine

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