Das Paradies der Damen - 11
sich noch gar nicht umgesehen, sondern wolle erst einmal einen Monat in Valognes ausruhen, fragte er, was sie denn daran hindere, nachher wieder ins »Paradies der Damen« zurückzukehren? Gequält von diesem Verhör, schwieg sie beharrlich. Da beschlich ihn der Gedanke, daß sie vielleicht einen Liebhaber, einen zukünftigen Gatten aufsuchen wollte. Hatte sie ihm nicht eines Abends gestanden, daß sie jemanden liebte, ein Geständnis, das er seither wie eine offene Wunde im Herzen trug? Und wenn dieser Mann sie heiraten wollte, würde sie alles verlassen, um ihm zu folgen; daher ihre Hartnäckigkeit. Es war also alles aus! Sachlich und kühl fügte er hinzu, daß er sie nicht länger zurückzuhalten beabsichtige, da sie ihm die wahre Ursache ihrer Kündigung nicht sagen wolle. Und diese trockene Antwort verwirrte sie mehr als eine heftige Szene, die sie befürchtet hatte.
Während der Woche, die Denise noch in der Firma verbringen sollte, zeigte Mouret eine eisige Kälte. Wenn er durch die Abteilung ging, tat er, als sähe er sie gar nicht. Niemals schien er mehr in seiner Arbeit aufzugehen als jetzt. Allein unter dieser scheinbaren Kälte verbargen sich Unentschlossenheit und Leid. Maßlose Zornesanwandlungen trieben ihm alles Blut in den Kopf, er träumte davon, Denises Widerstand zu ersticken, sie mit Gewalt zu nehmen. Dann wurde er wieder vernünftig und suchte nach praktischen Mitteln, um sie am Fortgehen zu hindern. Allein er war ohnmächtig, all seine Stärke und sein Geld nützten ihm nichts. Allmählich indessen setzte sich ein Gedanke in ihm fest. Nach dem Tod von Frau Hédouin hatte er sich geschworen, nie wieder zu heiraten. Sein erstes Glück stammte von einer Frau, und er war entschlossen, auch seine zukünftigen Erfolge nur auf den Frauen aufzubauen. Es war bei ihm wie bei Bourdoncle eine Art Aberglaube, daß der Leiter eines großen Modewarenhauses unverheiratet bleiben müsse, wenn er seine Macht über die Kundinnen bewahren wolle: eine Frau im Haus vertreibe die anderen. Und er stemmte sich innerlich gegen den folgerichtigen Ablauf der Dinge, er wollte lieber sterben als nachgeben, und eine geheime Wut gegen Denise ergriff ihn. Er fühlte genau, daß sie die Rache verkörperte, und fürchtete, an dem Tag, da er sie heiratete, besiegt über seinen Millionen zusammenzubrechen, geknickt wie ein Strohhalm. Dann wurde er allmählich wieder schwach. Wovor hatte er denn solche Angst? Sie war so sanft und vernünftig, daß er sich ihr ohne Furcht überlassen konnte. Und zwanzigmal in der Stunde begann dieser Kampf in seinem Innern von neuem. Er verlor schließlich vollends die Vernunft, wenn er daran dachte, daß sie selbst nach dieser äußersten Unterwerfung nein sagen könnte. Am Morgen des großen Sonderverkaufs hatte er noch immer keinen Entschluß gefaßt, und am nächsten Tag sollte Denise gehen.
Als Bourdoncle an diesem Montag gegen drei Uhr nachmittags in Mourets Arbeitszimmer trat, saß dieser, die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und die Hände an die Augen gepreßt, so in Gedanken versunken da, daß Bourdoncle ihn an der Schulter berühren mußte, um sich bemerkbar zu machen. Mouret hob sein tränenfeuchtes Gesicht, die beiden sahen sich an, dann drückten sie sich die Hände als alte Kampfgenossen, die miteinander im Handel so manche Schlacht geschlagen hatten. Bourdoncle hatte seit einem Monat seine Haltung vollständig geändert. Er beugte sich vor Denise, ja er trieb den Chef insgeheim an, er solle sie heiraten. Ohne Zweifel tat er das, um nicht durch eine Macht hinweggefegt zu werden, die der seinen überlegen war. Doch auf dem Grund dieses Sinneswandels hätte man noch etwas anderes finden können, und zwar das Wiedererwachen seines Ehrgeizes, die unbestimmte, aber allmählich erstarkte Hoffnung, nun seinerseits Mouret unterzukriegen, vor dem er so lange den Nacken gebeugt hatte. Das lag gewissermaßen in der Luft dieses Hauses. Der ewige Kampf ums Dasein weckte den Appetit, ließ ihn zur Gefräßigkeit werden, die von unten nach oben die Mageren antrieb, die Fetten aufzufressen. Nur eine Art scheue Furcht, sein Glück aufs Spiel zu setzen, hatte Bourdoncle bisher daran gehindert, zuzuschnappen. Der Chef wurde jetzt zum Kind, er schlitterte in eine unsinnige Heirat hinein, war im Begriff, sein Glück zu vernichten, den Zauber, den er auf die Kundschaft ausübte, zu zerstören. Warum sollte er ihn davon abhalten, wenn er selber die Erbschaft antreten konnte, sobald der andere
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