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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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was Sie können.«
    Die Abteilung blieb indessen leer; es kamen in dieser frühen Morgenstunde nur wenige Kunden zur Konfektion herauf. Denise machte sich selber Mut, denn es galt, ihren Platz zu erobern. Man hatte ihr am Tag zuvor gesagt, daß sie kein festes Gehalt, sondern nur ihre Prozente bekommen werde, die übliche Provision nach jedem Verkauf. Sie hoffte dennoch, auf zwölfhundert Franken zu kommen, denn sie wußte, daß gute Verkäuferinnen es auf zweitausend brachten. Ihre Ausgaben standen fest: hundert Franken im Monat würden genügen, die Pension Pépés zu bestreiten und auch Jean etwas zuzustecken, der ja noch nichts bezahlt bekam; dabei würde ihr noch so viel übrigbleiben, daß sie selber leben und sich hier und da ein Wäsche- oder Kleidungsstück kaufen konnte. Allein um eine so hohe Summe zu erreichen, mußte sie fleißig und geschickt sein, sich die Mißgunst, die sie umgab, nicht allzu sehr zu Herzen nehmen, sich wehren und, wenn nötig, den ihr zukommenden Teil sich auch mit Gewalt erobern.
    Während sie sich mit solchen Gedanken beschäftigte, ging ein großer junger Mann durch die Abteilung und lächelte ihr zu. Als sie Deloche erkannte, der am Tag zuvor in die Spitzenabteilung eingetreten war, erwiderte sie lächelnd seinen Gruß, ganz glücklich über diese Freundschaft, die ihr hier plötzlich begegnete; sie sah darin eine glückliche Vorbedeutung.
    Um halb zehn rief eine Glocke zur ersten Mahlzeit. Dann wurde die zweite Schicht gerufen. Immer noch kamen keine Kunden. Frau Frédéric, die zweite Abteilungsleiterin, die in ihrer ewig verdrossenen Witwenstimmung von vornherein alles schwarz sah, versicherte, der Tag sei verloren; keine vier Katzen würden erscheinen; man könne ruhig die Schränke schließen und nach Hause gehen. Diese Prophezeiung verdüsterte das platte Gesicht Marguerites, die sehr geldgierig war, während Claire schon an eine Landpartie dachte, falls das Haus Bankrott machen sollte. Frau Aurélie ging stumm und ernst in der leeren Abteilung umher wie ein General, den bei Sieg und Niederlage gleichermaßen die Verantwortung trifft. Gegen elf Uhr erschienen einige Damen. Die Reihe zum Verkaufen war an Denise. Eben wurde eine Kundin gemeldet.
    »Es ist die Dicke aus der Provinz, Sie wissen ja«, flüsterte Marguerite.
    Es war eine Dame von fünfundvierzig Jahren, die von Zeit zu Zeit aus einem entfernten Winkel des Landes nach Paris kam. Zu Hause legte sie monatelang ihre Ersparnisse beiseite. Wenn sie dann in der Stadt war, galt ihr erster Weg dem »Paradies der Damen«, wo sie alles bis auf den letzten Sou ausgab. Selten machte sie eine briefliche Bestellung, sie wollte sehen, was sie kaufte, wollte die Freude genießen, die Ware zu befühlen. Das ganze Geschäft kannte sie, man wußte, daß sie Boutarel hieß und in Albi wohnte; um das übrige kümmerte sich niemand.
    »Es geht Ihnen hoffentlich gut, gnädige Frau?« fragte Frau Aurélie, die ihr höflich entgegenging. »Was darf es sein? Wir stehen ganz zu Ihrer Verfügung.«
    Dann wandte sie sich um und rief:
    »Ein Fräulein bitte!«
    Denise trat näher, allein Claire war ihr zuvorgekommen. Gewöhnlich war sie ziemlich träge beim Verkauf; sie machte sich nicht viel aus dem Geld; sie verdiente außerhalb des Hauses weit mehr und ohne jede Mühe … Doch der Gedanke, der Neuen eine Kundin wegzukapern, spornte sie an.
    »Ich bin an der Reihe«, setzte sich Denise empört zur Wehr. Frau Aurélie warf ihr einen strengen Blick zu.
    »Hier befehle ich. Alte Kunden können Sie noch nicht bedienen; warten Sie, bis Sie sich im Hause besser auskennen.«
    Denise wandte sich ab, und da ihr die Tränen in die Augen traten, kehrte sie den anderen den Rücken und tat, als wollte sie auf die Straße hinunterschauen. Wie, versuchte man sie am Verkauf zu hindern? Sollten sich alle zusammengetan haben, um ihr die ersten Kunden wegzuschnappen? Die Sorge um die Zukunft erfaßte sie; sie fühlte sich wie erdrückt unter so viel Feindseligkeit. In ihrer bitteren Verlassenheit preßte sie die Stirn an die kalte Fensterscheibe, blickte nach dem »Vieil Elbeuf« hinüber und dachte, es wäre besser gewesen, wenn sie ihren Onkel gebeten hätte, sie zu behalten; jetzt stand sie ganz allein in diesem riesigen Haus da, wo niemand sie gern sah.
    Inzwischen hörte sie hinter sich die Stimmen summen.
    »Der ist mir zu eng«, sagte Frau Boutarel.
    »Aber gnädige Frau«, erwiderte Claire, »die Schultern sitzen genau richtig … Vielleicht hätten

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