Das Paradies der Damen - 11
Seidenabteilung wie im Schlaf. Langsam kamen allerdings Wagen an, man hörte, wie draußen plötzlich Pferde angehalten wurden, ein Kutschenschlag sich geräuschvoll schloß. Ein unbestimmter Lärm drang herein: Neugierige, die sich vor den Auslagen drängten, Droschken, die auf der Place Gaillon hielten. Allein noch sah Mouret die Kassierer untätig hinter ihren Schaltern sitzen, die Packtische blieben leer, anstatt sich mit Paketen zu füllen, und er hatte das Gefühl, als sei seine große Maschine zum Stehen gekommen.
»Sehen Sie sich mal den Chef an, Favier«, murmelte Hutin; »er scheint nicht gerade in rosiger Stimmung zu sein.«
»Das ist ja auch eine gräßliche Spelunke«, erwiderte Favier, »ich habe heute noch gar nichts verkauft.«
Sie tauschten ihre Bemerkungen aus, ohne einander anzublicken. Die übrigen Verkäufer der Abteilung waren damit beschäftigt, unter der Anleitung Robineaus große Stöße von »Pariser Glück« aufzulegen, während Bouthemont in ein angelegentliches Gespräch mit einer jungen Frau vertieft war und, wie es schien, eine wichtige Bestellung aufnahm.
»Ich brauche für Sonntag hundert Franken«, sagte jetzt Hutin.
»Wenn ich nicht täglich im Durchschnitt zwölf Franken herausschlage, bin ich pleite … Ich hatte so fest auf diesen Sonderverkauf gebaut.«
»Verflucht! Hundert Franken, das ist viel!« meinte Favier. »Ich brauche nicht mehr als fünfzig oder sechzig … Sie leisten sich noble Frauenzimmer, wie es scheint?«
»Ach wo, mein Lieber. Denken Sie sich, so etwas Dummes: ich habe gewettet und habe verloren … Ich muß jetzt fünf Personen freihalten, zwei Herren und drei Damen. Alle Wetter! Der ersten, die mir in die Hände fällt, will ich fünfundzwanzig Meter ›Pariser Glück‹ anhängen!«
So plauderten sie noch eine Weile und erzählten einander, was sie tags zuvor gemacht hatten und was sie in acht Tagen zu tun gedächten. Favier hatte die Leidenschaft, bei Pferderennen zu wetten, Hutin dagegen war mehr für Bootsfahrten und bewegte sich überdies gern in Gesellschaft von Tingeltangelsängerinnen. Allein beide stachelte das gleiche Bedürfnis nach Geld an, sie dachten nur an Geld und plagten sich um Geld vom Montag bis zum Samstag, um dann am Sonntag alles zu verprassen. Dies war der einzige Gedanke, der sie im Geschäft beherrschte, ständig lebten sie im Kampf ums Geld. Und da kaperte dieser Schuft von Bouthemont Hutin die Botin von Frau Sauveur weg, die magere Person, mit der er eben sprach! Ein schönes Geschäft: zwei, drei Dutzend ganze Stücke …
In diesem Augenblick hatte auch Robineau Favier eine Käuferin weggeschnappt.
»Der wird bald seine Rechnung machen müssen«, sagte Hutin, der den geringsten Anlaß dazu benutzte, die ganze Abteilung gegen den Mann aufzuhetzen, dessen Stelle er haben wollte. »Wozu mischen sich die oben auch noch in den Verkauf? Auf Ehrenwort, wenn ich jemals Zweiter werde, sollt ihr sehen, wie anständig ich sein werde!«
Er schien die Liebenswürdigkeit in Person zu sein. Favier sandte ihm einen mißtrauischen Blick zu und murmelte in seiner galligen Art:
»Ja, ich weiß … Ich wollte, Sie wären es schon.«
Als er eine Kundin sich nähern sah, setzte er hinzu: »Aufgepaßt, da kommt etwas für Sie!«
Es war eine Dame mit kupferrotem Gesicht in einem roten Kleid mit gelbem Hut. Hutin witterte sofort, daß sie nichts kaufen würde. Er bückte sich rasch unter den Tisch und tat, als müsse er seine Schuhbänder nachziehen. Dabei brummte er:
»Kommt gar nicht in Frage! Die soll sich ein anderer nehmen. Besten Dank, das wäre verlorene Mühe.«
Allein Robineau rief nach ihm.
»Wer ist an der Reihe? Herr Hutin? Wo ist Herr Hutin?«
Als dieser keine Antwort gab, erhielt der nächstfolgende Verkäufer die kupferrote Dame. Sie verlangte tatsächlich nur Muster und Preisangaben; dabei hielt sie den Angestellten zwanzig Minuten auf und überhäufte ihn mit Fragen. Der Zweite hatte indessen bemerkt, daß Hutin sich hinter dem Tisch wieder aufgerichtet hatte. Als nun eine neue Kundin erschien, trat er mit strenger Miene dazwischen und hielt den jungen Mann zurück.
»Sie haben Ihren Einsatz verpaßt … Ich habe Sie gerufen, da Sie aber dahinten steckten …«
»Ich habe nichts gehört, Herr Robineau …«
»Schluß! Schreiben Sie sich als letzter ein! Herr Favier, Sie sind an der Reihe!«
Favier sandte seinem Freund einen Blick des Bedauerns zu, war aber im Grunde entzückt. Hutin wandte sich wütend ab. Er kannte
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