Das Paradies der Damen - 11
Lärm!« hatte Frau Aurélie schon wiederholt gesagt. »Das ist ja unerträglich! … Was haben Sie denn bloß an den Füßen?«
Als Denise zum ersten Mal in Stoffschuhen herunterkam, sagte Claire zu Marguerite, laut genug, um gehört zu werden:
»Schau, schau! Die ›Löwenmähne‹ hat ihre Galoschen abgelegt. Das muß ihr aber schwergefallen sein: die waren ja noch von ihrer Mutter!«
Übrigens war man allgemein empört über Denise. Die Abteilung schien endlich ihre Freundschaft mit Pauline entdeckt zu haben, und man erblickte darin geradezu eine Auflehnung. Man wurde nicht müde, von Verrat zu sprechen, und beschuldigte sie, daß sie der Freundin Gespräche der andern wiedererzähle. Die Feindschaft zwischen Wäsche- und Konfektionsabteilung wurde hierdurch von neuem lebhaft angefacht; es gab hüben wie drüben harte Worte, und eines Abends kam es hinter den Hemdenkartons sogar zu einer Ohrfeige. Und all das wegen dieser Denise!
»Meine Damen, nur keine häßlichen Reden! Halten Sie an sich und zeigen Sie, wer Sie sind!« mahnte Frau Aurélie hoheitsvoll. Sie zog es gewöhnlich vor, sich in diese Händel nicht einzumengen. Auf eine Frage Mourets hatte sie einmal erklärt, diese Mädchen taugten eine wie die andere nicht viel. Allein in neuester Zeit war ihr Interesse erwacht, seit sie nämlich von Bourdoncle erfahren hatte, daß er ihren Sohn im Keller dabei ertappt habe, wie er eine Verkäuferin aus der Wäscheabteilung umarmte, just die, welcher der junge Mann seine Briefchen zuzustecken pflegte. Das war abscheulich, und sie beschuldigte die Wäscheabteilung, ihren Sohn Albert in einen Hinterhalt gelockt zu haben; ja der Streich gelte ihr, meinte sie, man suche sie zu verunglimpfen, indem man ein unerfahrenes Kind ins Verderben führe, nachdem man sich habe überzeugen müssen, daß ihre Abteilung unter ihrer strengen Führung unantastbar sei. Sie machte einen ganz ungewöhnlichen Lärm, um die Sache selbst zu vertuschen, denn sie gab sich über ihren Sohn keiner Täuschung hin, sie wußte, daß er aller tollen Streiche fähig war. Einen Augenblick schien die Geschichte ernst werden zu wollen, auch Mignot, der Verkäufer aus der Handschuhabteilung, wurde hineingezogen; er war der Freund Alberts, und ein Gerücht erzählte, daß er beim Verkauf die Mädchen bevorzuge, die sein Freund ihm schicke, daß sie stundenlang in den verschiedenen Kartons herumwühlen dürften. Außerdem sprach man von einem Paar schwedischer Handschuhe, welche die Verkäuferin bekommen haben sollte. Doch schließlich wurde der Skandal unterdrückt aus Rücksicht auf die Direktrice der Konfektionsabteilung, die selbst Mouret mit Achtung behandelte. Bourdoncle begnügte sich damit, acht Tage später die schuldige Verkäuferin aus der Wäscheabteilung zu entlassen, weil sie sich so weit vergessen hatte, sich im Keller umarmen zu lassen. Die Geschäftsleitung sei schon nachsichtig genug, meinte er, wenn sie die abscheulichen Dinge zulasse, die draußen vor sich gingen; im Haus selbst dagegen werde man nichts dergleichen dulden.
Und wieder war es Denise, die unter diesem Abenteuer zu leiden hatte. Obwohl Frau Aurélie im Grund recht gut Bescheid wußte, bewahrte sie doch gegen Denise einen geheimen Groll; sie hatte sie eines Abends mit Pauline lachen sehen und fürchtete Tratschereien über die Liebschaften ihres Sohnes. Künftig trennte sie das Mädchen noch mehr von den anderen in der Abteilung. Sie hegte seit langer Zeit den Plan, die Verkäuferinnen an einem Sonntag nach Rigolles in der Nähe von Rambouillet mitzunehmen, wo sie sich für die ersten hunderttausend Franken, die sie erspart hatte, eine Besitzung gekauft hatte. Sie beschloß, Denise an diesem Ausflug nicht teilnehmen zu lassen, um sie auf diese Weise zu bestrafen. Schon vierzehn Tage vorher gab es in der Abteilung kein anderes Thema als diese Landpartie. Man machte sich einen genauen Plan, sprach von einem Eselsritt, einer Mahlzeit im Grünen mit Buttermilch und frischem Schwarzbrot, kurz, man erhoffte sich alle erdenklichen Belustigungen. Frau Aurélie brachte ihre freien Tage meist in der Weise zu, daß sie mit irgendwelchen Damen spazierenging; sie war es so wenig gewohnt, im Kreis ihrer Familie zu sein, sie hatte sich an den seltenen Abenden, die sie zu Hause zubringen konnte, so unbehaglich, so fremd gefühlt zwischen ihrem Gatten und ihrem Sohn, daß sie es künftig vorgezogen hatte, an diesen Tagen das Hauswesen sich selbst zu überlassen und im Restaurant zu
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