Das Paradies der Damen - 11
aus dem Weg ging. So flogen von einem Tisch zum andern verständnisinnige Blicke hin und her, Worte, die sie allein begriffen, zuweilen gar leistete man sich ein leises Geplauder, wobei man einander den Rücken wandte, um nicht von dem fürchterlichen Bourdoncle überrascht und ausgescholten zu werden.
Was Deloche anging, so begnügte er sich längere Zeit damit, Denise lächelnd anzublicken. Später bekam er Mut und flüsterte ihr irgendein freundliches Wort zu, wenn er ihr begegnete. An dem Tag, als sie den Sohn von Frau Aurélie beobachtete, wie er dem Fräulein von der Wäscheabteilung sein Billett zusteckte, hatte Deloche Denise eben gefragt, ob sie gut gefrühstückt habe; er interessierte sich eben für sie und fand nichts Besseres zu sagen. Auch er hatte das Briefchen bemerkt; er schaute das Mädchen an, und beide erröteten über dieses Liebesspiel, das vor ihren Augen abrollte.
Doch trotz dieser schwülen Atmosphäre, die in Denise allmählich die Frau weckte, behielt sie ihren kindlichen Frieden. Nur die Begegnung mit Hutin ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie hielt diese Regung indessen für bloße Dankbarkeit, sie glaubte sich von der Höflichkeit dieses jungen Mannes angesprochen. Sooft er eine Kundin in die Abteilung führte, war Denise verlegen. Wenn sie von einer Kasse an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte, ertappte sie sich oft dabei, daß sie einen Umweg machte und ganz überflüssigerweise an den Tischen der Seidenabteilung vorbeiging.
Eines Abends traf sie dort Mouret, und er schien ihr lächelnd nachzublicken. Er beschäftigte sich nicht mehr mit ihr und sprach sie von Zeit zu Zeit nur an, um ihr einen guten Rat in bezug auf ihre Aufmachung zu geben und mit ihr zu scherzen, sie als einen hoffnungslosen Fall zu behandeln, als eine Wilde, die er trotz all seiner Erfahrung nie zur Koketterie bringen werde. Er ließ sich zuweilen sogar zu Neckereien herab, ohne sich den Reiz eingestehen zu wollen, den diese kleine Verkäuferin mit dem drolligen Haarwuchs auf ihn ausübte. Unter seinem stummen Lächeln erbebte Denise, als hätte er sie bei einem Vergehen ertappt. Ahnte er etwa gar, weshalb sie durch die Seidenabteilung ging, während sie selbst kaum wußte, was sie zu diesem Umweg veranlaßte?
Hutin indessen schien die dankerfüllten Blicke des Mädchens nicht zu bemerken. Die Verkäuferinnen waren nicht sein Geschmack; er tat immer sehr geringschätzig gegen sie und rühmte sich mehr denn je seiner außerordentlichen Abenteuer mit den Kundinnen: Eine Baronin hatte sich einmal vor seinem Tisch Knall und Fall in ihn verliebt; und die Gattin eines Architekten, bei der er erschienen war, weil er ihr irrtümlich zu viel Seide abgemessen hatte, war ihm widerstandslos in die Arme gesunken. Hinter dieser normannischen Prahlerei steckte nichts weiter als Gelegenheitsdämchen, die er sich in den Kneipen oder im Tingeltangel holte. Wie alle Angestellten der Modebranche war er ein Verschwender; die ganze Woche führte er einen erbitterten Kampf um das Geld, um es am Sonntag mit vollen Händen hinauszuwerfen, auf den Rennplätzen, in den Restaurants, auf den Tanzböden, wie gewonnen, so zerronnen; an den folgenden Tag dachte er nicht. Nur Favier machte hierin eine Ausnahme und ging nicht mit ihm. Im Geschäft hielt er mit Hutin gute Kameradschaft; vor der Tür aber grüßten sie sich und gingen auseinander. Hutins intimer Freund war Liénard. Sie wohnten im Hotel Smyrna in der Rue Saint-Anne; es war dies ein alter Bau, in dem lauter Handelsangestellte lebten. Am Morgen kamen sie miteinander ins Geschäft. Wer früher fertig war, erwartete am Abend den ändern im Café Saint-Roch, wo die Verkäufer vom »Paradies der Damen« sich trafen. Hier wurde geschwatzt und getrunken, geraucht und Karten gespielt. Oft blieben sie bis ein Uhr und warteten, bis der Besitzer sie hinauswarf. Seit einem Monat gingen sie übrigens dreimal wöchentlich in ein Tingeltangel am Montmartre, wo sie Fräulein Laura, eine neue Sängerin und die jüngste Eroberung Hutins, so geräuschvoll feierten, daß die Polizei schon zweimal hatte einschreiten müssen.
So verging der Winter, und Denise erhielt endlich dreihundert Franken festes Gehalt. Es war die höchste Zeit, denn ihre schweren Schuhe hielten nicht mehr länger. Den ganzen letzten Monat hindurch war sie nicht mehr ausgegangen, weil sie fürchtete, sie könnten mit einem Schlag in die Brüche gehen.
»Mein Gott, Fräulein, Sie machen mit Ihrem Schuhwerk einen entsetzlichen
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