Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Zufriedenheit von Eheleuten.
    Am meisten brachte Denise die Entdeckung von Colombans Geheimnis in Verwirrung. Sie konnte ihn zu jeder Stunde auf der Schwelle des »Vieil Elbeuf« stehen sehen, wie er nach dein Zwischenstock des »Paradieses der Damen« hinaufschaute und die Konfektionsabteilung nicht aus den Augen ließ. Wenn er merkte, daß Denise ihn beobachtete, wandte er sich errötend ab, als fürchtete er, sie könnte ihn ihrer Kusine Geneviève verraten, obgleich es zwischen Denise und der Familie Baudu keinerlei Beziehungen mehr gab, seitdem das Mädchen im »Paradies der Damen« angestellt war. Sie glaubte zuerst, er sei in Marguerite verliebt, als sie seine sehnsuchtsvolle Miene sah; denn Marguerite war vernünftig, schlief im Hause und war nicht so leicht zu erobern. Später merkte sie zu ihrer Überraschung, daß die verliebten Blicke des Angestellten Claire galten. So schmachtete er sie seit Monaten aus der Ferne an, ohne den Mut zu finden, sich ihr zu erklären – und das einem Straßenmädchen gegenüber, das in der Rue Louis-le-Grand wohnte und das er ohne Schwierigkeiten hätte ansprechen können, bevor es sich jeden Abend am Arm eines anderen Mannes entfernte! Claire selbst schien von diesem heimlichen Verehrer nichts zu ahnen. Denise war über ihre Entdeckung schmerzlich betroffen. War das eine dumme Geschichte, die Liebe! Mußte sich dieser Junge, der sein Glück in Händen hielt, sein ganzes Leben verderben, indem er eine solche Dirne wie ein Heiligtum anbetete? Seit jenem Tag gab es ihr einen Stich, wenn sie das blasse, leidende Gesicht Genevièves hinter den Fenstern des »Vieil Elbeuf« auftauchen sah. So hing Denise ihren Gedanken nach, wenn sie abends die ganze Weiblichkeit mit ihren Liebhabern sich entfernen sah. Die im Hause schliefen, in den kleinen Kammern unter dem Dach, kamen gegen elf Uhr zurück, es sei denn, daß sie Erlaubnis bekommen hatten, ins Theater zu gehen. Die übrigen verschwanden bis zum nächsten Morgen. Denise mußte zuweilen mit einem Lächeln das freundschaftliche Kopfnicken erwidern, mit dem Pauline sie begrüßte, die regelmäßig um halb neun Uhr an der Ecke des Brunnens auf der Place Gaillon von Baugé erwartet wurde. Wenn Denise als letzte fortgegangen und ihren kurzen verstohlenen Spaziergang, immer allein, gemacht hatte, kam sie als erste wieder heim; sie arbeitete dann noch eine Weile oder ging zu Bett, wirre Gedanken im Kopf, von Neugierde erfaßt nach diesem Leben, das sie nicht kannte. Gewiß, sie beneidete diese Mädchen nicht; sie war glücklich in ihrer Einsamkeit, in ihrer Schüchternheit, die ihr wie eine Zuflucht war; allein ihre Einbildungskraft riß sie fort, sie suchte die Dinge zu ergründen, dachte unaufhörlich an die Vergnügungen, von denen ihr erzählt wurde, an die Cafés, die Restaurants, an die Theater, an die Sonntage mit ihren Spaziergängen und Bootspartien.
    Indessen gab es in ihrem Leben voll Arbeit nur wenig Platz für solche gefährlichen Träumereien. Im Geschäft dachte man während des dreizehnstündigen Dienstes nur wenig an Liebe. Hätte nicht schon der ewige Kampf um das Geld den Unterschied der Geschlechter hier völlig verwischt, so hätten die ständige Hast und das Getriebe jedes Verlangen zwischen Verkäufern und Verkäuferinnen erstickt. Sie waren alle Teile eines Räderwerks, entsagten ihrer Eigenart und trugen ganz einfach mit ihren Kräften zum geordneten Ablauf des Ganzen bei. Das Privatleben begann erst draußen mit dem plötzlichen Aufflammen der Leidenschaften.
    Eines Tages jedoch bemerkte Denise, wie Albert Lhomme, der Sohn der Direktrice, einem Mädchen aus der Wäscheabteilung ein Billett in die Hand gleiten ließ, nachdem er vorher einige Male mit gleichgültiger Miene durch die Abteilung spaziert war. Es war in der toten Zeit des Winterhalbjahres, die vom Dezember bis zum Februar dauert. Denise hatte zuweilen einige Augenblicke der Ruhe; sie konnte sich an die Wand lehnen, den Blick in die Tiefen der Geschäftsräume verloren, und auf Kunden warten. Die Mädchen der Konfektionsabteilung unterhielten gute Beziehungen zu den Verkäufern der Spitzenabteilung, ohne daß aber die Vertraulichkeit weiter gegangen wäre als bis zu trockenen Späßen, die mit leiser Stimme ausgetauscht wurden. Der Zweite in der Spitzenabteilung war ein großer Witzbold, der Claire mit dummen Vertraulichkeiten verfolgte, bloß um etwas zu lachen zu haben; im Grunde fand er an ihr so wenig Gefallen, daß er ihr außerhalb des Hauses

Weitere Kostenlose Bücher