Das Paradies der Damen - 11
Wut. Jetzt war also Mouret sein Hauseigentümer, ihm hatte er künftig die Miete zu bezahlen, bei ihm, dem verabscheuten Konkurrenten, sollte er künftig wohnen!
Denise stand verblüfft da und vermochte kein Wort hervorzubringen. Sie wartete geduldig das Ende des Donnerwetters ab. Als Bourras ruhiger geworden war, entschloß sie sich, den Auftrag Mourets auszurichten.
»Ich bin soeben jemandem begegnet«, begann sie; »ja, aus dem ›Paradies der Damen‹, jemandem, der sehr gut unterrichtet ist. Es scheint, daß man vorhat, Ihnen achtzigtausend Franken anzubieten.«
Er unterbrach sie mit schneidender Stimme.
»Achtzigtausend Franken? Nicht für eine Million jetzt!«
Sie wollte ihn zur Vernunft bringen, allein in dem Augenblick, als sie von seinen Interessen zu sprechen begann, öffnete sich die Ladentür, und sie wich stumm und bleich zurück: es war Onkel Baudu mit seinem gelben, gealterten Gesicht. Bourras faßte seinen Nachbarn beim Mantelknopf und schrie ihm ins Gesicht, ohne ihn erst zu Wort kommen zu lassen:
»Wissen Sie, was diese Leute in ihrer Unverschämtheit mir anbieten? Achtzigtausend Franken! So weit sind diese Banditen gekommen! Sie glauben, daß ich mich verkaufe wie eine Dirne … Kaum gehört ihnen das Haus, so meinen sie schon, sie könnten alles haben!«
»Es ist also wahr?« fragte Baudu bedrückt. »Man hat es mir erzählt, und ich wollte eben von Ihnen Näheres erfahren.«
»Achtzigtausend Franken!« wiederholte Bourras. »Warum nicht hunderttausend? Dieses Geld bringt mich am meisten auf. Glauben die denn, daß ich für ihr Geld eine Schurkerei begehen werde? Sie sollen es nicht haben, Kreuzdonnerwetter, niemals, niemals, hören Sie?«
Da brach Denise ihr Schweigen und sagte sanft:
»In neun Jahren, wenn Ihr Vertrag abläuft, bekommen sie es doch.«
Trotz der Gegenwart ihres Onkels beschwor sie den Alten, das Angebot anzunehmen. Der Kampf sei aussichtslos geworden, er kämpfe gegen eine erdrückende Übermacht. Es wäre Wahnsinn, das Vermögen zurückzuweisen, das sich ihm darbiete. Bourras aber schüttelte hartnäckig den Kopf. In neun Jahren hoffte er tot zu sein, um das Ende nicht mit ansehen zu müssen.
»Da hören Sie es, Herr Baudu«, fuhr er dann fort, »Ihre Nichte hält es auch mit diesen Leuten, sie ist damit betraut, mich fertigzumachen; sie hält es mit diesen Räubern, auf Ehrenwort!«
Der Onkel schien bisher die Anwesenheit Denises nicht bemerkt zu haben. Jetzt hob er den Kopf, wandte sich langsam um und sah sie an. Seine dicken Lippen bebten. Er bereute es wohl, daß er ihr in ihrer Not nicht beigestanden hatte. Der Anblick Pépés, der auf einem Sessel schlief, während sich diese stürmische Szene abspielte, mochte ihn vollends umstimmen.
»Denise«, sagte er schlicht, »komm doch morgen zu uns zum Essen und bring den Kleinen mit … Meine Frau und Geneviève haben mich gebeten, dich einzuladen.«
Sie wurde rot und küßte ihn voller Dankbarkeit. Als er ging, rief ihm Bourras, glücklich über diese Versöhnung, nach:
»Treiben Sie ihr die Fehler wieder aus, es steckt doch viel Gutes in ihr! … Meinetwegen kann das Haus einstürzen, mich sollen sie in jedem Fall unter den Trümmern finden!«
Achtes Kapitel
Inzwischen sprach man im ganzen Stadtviertel von der großen Straße, die unter dem Namen Rue du Dix-Décembre von der Börse bis zur neuen Oper eröffnet werden sollte. Die Enteignungsverhandlungen hatten stattgefunden, zwei Scharen von Arbeitern machten sich bereits von beiden Seiten an den Durchbruch. Die Rue de Choiseul und die Rue de la Michodière bangten um ihre dem Untergang geweihten Häuser.
Aber was das Stadtviertel noch mehr bewegte, waren die Arbeiten am »Paradies der Damen«. Man sprach von bedeutenden Vergrößerungen, von riesigen Geschäftsräumen, die nach allen drei Seiten bis an die Rue de la Michodière, die Rue Neuve- Saint-Augustin und die Rue Monsigny reichen sollten. Man erzählte, Mouret habe mit dem Baron Hartmann, dem Direktor der Immobilienbank, einen Vertrag geschlossen und werde den ganzen Häuserkomplex erhalten mit Ausnahme der Seite nach der künftigen Rue du Dix-Décembre, wo der Baron ein Konkurrenzunternehmen zum Grand-Hotel errichten wolle. Das »Paradies der Damen« kaufte überall Mietverträge auf, die Läden wurden geschlossen, die Mieter zogen aus. In den nunmehr leeren Häusern begann ein Heer von Arbeitern, umhüllt von einer Wolke von Staub und Kalk, die geplanten Umbauten. Nur das schmale Haus des alten
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