Das Paradies der Damen - 11
daraufhin aus. Angesichts dieses neuen Schlags packte ihn die Furcht, nicht seinetwegen, sondern um seine Frau; sie war an ein ruhiges Glück gewöhnt und konnte nicht in Armut leben. Was sollte aus ihr werden, wenn eine Katastrophe sie auf die Straße werfen würde? Es war seine Schuld, er hätte ihre sechzigtausend Franken niemals anrühren sollen! Als sie merkte, was ihn bedrückte, mußte sie ihn trösten. Gehörte denn das Geld nicht ihm ebenso wie ihr? Sie hatte ihm doch alles gegeben, und sie verlangte nicht mehr als seine Liebe.
Denise war gerührt über diese zärtliche Zuneigung. Sie bangte, denn sie sah den unvermeidlichen Zusammenbruch voraus, aber sie wagte nicht, sich einzumengen.
Im übrigen hatten sich ihre Verhältnisse sehr gebessert. Wenn sie ihren arbeitsreichen Tag beendet hatte, kehrte sie rasch in ihre Wohnung zurück, um sich um Pépé zu kümmern, für dessen Verpflegung glücklicherweise der alte Bourras sorgte. Dann gab es noch dies und das zu erledigen, Wäsche zu waschen, das eine oder andere auszubessern, kurz, sie kam selten vor Mitternacht ins Bett. Trotzdem unternahm sie zuweilen ausgedehnte Spaziergänge mit dem Kleinen. Jean wollte bei diesen Ausflügen nicht mithalten. Er zeigte sich nur mehr von Zeit zu Zeit, manchmal abends nach der Arbeit, verschwand aber bald wieder unter dem Vorwand, er habe noch andere Besuche zu machen. Er verlangte kein Geld mehr von ihr, doch er kam meist mit so trübseliger Miene an, daß sie immer ein Hundertsoustück für ihn bereithielt. Das war der einzige Luxus, den sie sich leistete.
»Hundert Sous!« rief er jedesmal freudig. »Du bist wirklich zu nett! Da ist gerade die Frau eines Papierhändlers –«
»Schweig«, unterbrach ihn dann Denise, »ich will nichts wissen!«
So verflossen drei Monate, es kam der Frühling. Denise wollte nicht mehr mit Pauline und Baugé nach Joinville gehen. Sie begegnete ihnen zuweilen in der Rue Saint-Roch, wenn sie von Robineau kam. Als sie eines Abends allein war, gestand ihr Pauline, daß sie vielleicht demnächst ihren Geliebten heiraten werde; aber sie zögerte noch, weil man im »Paradies der Damen« verheiratete Verkäuferinnen nicht gern sah.
Dieser Plan einer Heirat überraschte Denise; doch sie wagte nicht, ihrer Freundin einen Rat zu geben. Wenige Tage später sprach Colomban sie auf der Place Gaillon neben dem Brunnen an, gerade in dem Augenblick, als Claire vorüberging; Denise mußte rasch davoneilen, denn er bat sie, sie möge mit ihrer früheren Kollegin reden und sie fragen, ob sie ihn nicht zum Mann nehmen wolle. Sie begriff nicht, warum die Leute alle so sehr aufs Heiraten aus waren. Sie fühlte sich recht glücklich dabei, daß sie niemanden liebte.
»Wissen Sie, was es Neues gibt?« rief ihr eines Abends der Schirmhändler entgegen, als sie heimkehrte.
»Nein, Herr Bourras.«
»Nun, die Gauner haben das Haus Duvillard angekauft; ich bin eingeschlossen.«
Er fuchtelte wütend mit beiden Armen in der Luft herum.
»Das Ganze ist eine Schurkerei, von der ich nichts begreife. Wie es scheint, hat das Haus der Immobilienbank gehört, deren Direktor, der Baron Hartmann, dem famosen Mouret auf den Leim gegangen ist. Jetzt haben sie mich von rechts und von links, von vorne und von hinten!«
Die Sache hatte ihre Richtigkeit, die Abtretungsurkunde war am Tag vorher unterschrieben worden. Das kleine Haus Bourras’, eingeklemmt zwischen dem »Paradies der Damen« und dem Haus Duvillard, geriet damit völlig in die Umklammerung des Riesen, der nun auch den Nachbarbau bezog.
»Tut nichts«, rief der Alte, »sie werden mich nicht plattdrücken können wie eine Wanze. Ich bleibe da, und wenn sie mir das Dach abtragen und mir der Regen scheffelweise ins Bett läuft!«
Als die Dinge so weit gediehen waren, ließ Mouret dem Schirmhändler neue Vorschläge machen; man wollte die Abstandssumme vergrößern, ihm sein Geschäft und seinen Vertrag um fünfzigtausend Franken abkaufen. Doch dieses Angebot verdoppelte nur die Wut des Alten. Er lehnte unter zornigen Flüchen ab. Wem stahlen diese Leute eigentlich das Geld, daß sie ihm fünfzigtausend Franken für eine Sache anboten, die nicht mehr als zehntausend wert war? Er verteidigte seinen Laden wie ein anständiges Mädchen seine Tugend, rein im Namen der Ehre, aus Achtung vor sich selbst.
Ungefähr vierzehn Tage lang wirkte Bourras gedankenvoll und zerstreut. Er lief fieberhaft erregt hin und her, maß die Mauern seines Hauses ab und betrachtete es von
Weitere Kostenlose Bücher