Das Paradies der Damen - 11
der Mitte der Straße aus mit der Miene eines Architekten. Dann kamen eines Morgens Arbeiter. Es galt den entscheidenden Kampf, er hatte den kühnen Gedanken gefaßt, das »Paradies der Damen« auf seinem eigenen Boden zu schlagen, indem er dem Geist der Zeit Zugeständnisse machte. Die Kunden, die ihm seinen dunklen Laden vorwarfen, würden sicherlich wiederkommen, wenn sie das Geschäft in frischem Glanz fänden. Vor allem wurden die Löcher und Sprünge ausgebessert und die Vorderseite neu verputzt; sodann wurde alles Holzwerk grün angestrichen. Dreitausend Franken, die Bourras als eine letzte Reserve beiseite gelegt hatte, wurden durch diese Ausgaben verschlungen. Das ganze Stadtviertel geriet in Aufruhr. Man strömte herbei, um den Alten zu betrachten, wie er inmitten dieser neuen Pracht nun vollends den Kopf verlor und sich überhaupt nicht mehr zurechtfand.
Auch er begann jetzt ganz offen den Feldzug gegen das »Paradies der Damen«. Er bot einen Schirm zu einem Franken fünfundneunzig an, Zanella auf Stahl montiert, »unverwüstlich«, wie die Etiketten besagten. Aber er wollte seinen Konkurrenten hauptsächlich mit seinen Griffen schlagen, mit einer reichen Auswahl aller erdenklichen Arten und Formen. Das »Paradies der Damen«, weniger auf Kunstfertigkeit erpicht, legte mehr Sorgfalt auf die Stoffe. Und es behielt die Oberhand. Der Alte klagte immer wieder verzweifelt, daß die Kunst beim Teufel sei und daß er künftig nur mehr zu seinem Vergnügen Griffe schnitzen könne, ohne Hoffnung, sie auch zu verkaufen.
»Es ist mein eigener Fehler!« rief er Denise zu. »Warum habe ich auch Schundartikel zu einem Franken fünfundneunzig angeboten? Ich wollte das Beispiel dieser Räuber nachahmen und gehe jetzt selbst dabei zugrunde!« –
Der Monat Juli war sehr heiß. Denise litt Qualen in ihrem engen Zimmerchen unter dem Schieferdach. Darum holte sie, wenn sie aus dem Geschäft kam, Pépé bei Herrn Bourras ab und ging, um ein wenig frische Luft zu schöpfen, in die Tuilerien, bis die Gittertore geschlossen wurden. Als sie eines Abends auf die Kastanienbäume zuschritt, blieb sie plötzlich betroffen stehen: sie glaubte einige Schritte vor sich Hutin zu sehen. Ihr Herz klopfte heftig; es war aber nicht Hutin, sondern Mouret, der jenseits des Flusses gegessen hatte und sich jetzt beeilte, zu Frau Desforges zu kommen. Bei der plötzlichen Bewegung, die das junge Mädchen machte, um ihm auszuweichen, erkannte er sie, obgleich die Dämmerung schon hereingebrochen war.
»Sie sind es, Fräulein?«
Ganz bestürzt, daß er sie eines Grußes würdigte, fand sie keine Antwort.
»Sie sind noch immer in Paris?« fragte er weiter.
»Ja.«
Sie wich langsam aus, wollte grüßen und ihren Weg fortsetzen; aber er kehrte um und folgte ihr unter den dunklen Schatten der alten Kastanien.
»Ist das Ihr Bruder?« fragte er, auf Pépé deutend.
»Ja«, antwortete sie wieder.
Sie wurde rot und dachte an die abscheulichen Verleumdungen von Marguerite und Claire. Ohne Zweifel begriff Mouret die Ursache ihres Errötens, denn er fügte lebhaft hinzu:
»Hören Sie, Fräulein, ich habe mich bei Ihnen zu entschuldigen; ja, ich hätte Ihnen gern früher schon gesagt, wie sehr ich das Unrecht bedaure, das man Ihnen zugefügt hat. Man hat Sie leichtfertig eines Fehltritts beschuldigt … Aber schließlich ist das Unglück geschehen, und ich wollte Ihnen nur sagen, daß jetzt in unserem Haus jedermann weiß, von welcher zärtlichen Liebe Sie für Ihre Brüder erfüllt sind.«
In diesem Ton fuhr er fort und war von einer achtungsvollen Höflichkeit, welche die Verkäuferinnen vom »Paradies der Damen« an ihm nicht gewohnt waren. Die Verlegenheit Denises stieg immer höher, aber ihr Herz war von tiefer Freude erfüllt. Er wußte also, daß sie sich niemandem hingegeben hatte!
»Ich würde Ihnen gern eine Wiedergutmachung anbieten, Fräulein«, fing er wieder an; »natürlich voausgesetzt, daß Sie zu uns zurückkehren wollen.«
»Das kann ich nicht«, sagte sie; »ich danke Ihnen sehr, aber ich habe anderswo eine Beschäftigung gefunden.«
Er wußte es schon; man hatte ihm bereits mitgeteilt, wo sie arbeitete. In ruhigem Ton und liebenswürdig wie zu seinesgleichen sprach er mit ihr von Robineau, dem er volle Gerechtigkeit widerfahren ließ: ein reger, gescheiter Bursche, nur etwas zu reizbar. Er werde sicherlich mit einer Katastrophe enden, denn Gaujean habe ihm ein Unternehmen auf den Hals geladen, bei dem alle beide auf der
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