Das Paradies der Damen - 11
ein letztes Täuschungsmanöver.
»Aber er liebt doch Sie!«
Geneviève machte eine verzweifelte Gebärde.
»Schon gut – Sie wollen mir also nichts sagen. Es ist mir übrigens gleichgültig, ich habe sie ja gesehen. Er geht doch dauernd auf die Straße hinaus, um hinaufzuschauen, und sie lacht von oben auf ihn herab wie eine Dirne … Sicher haben sie außerhalb des Hauses ihre Zusammenkünfte.«
»Nein, bestimmt nicht, das schwöre ich!« rief Denise, fortgerissen durch das Verlangen, ihr wenigstens diesen Trost zu verschaffen.
Geneviève atmete auf, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Dann begann sie leise:
»Sie wissen ja, seit zehn Jahren lebe ich im Gedanken an diese Heirat. Ich trug noch kurze Kleider, als Colomban schon für mich bestimmt war. Ich weiß nicht mehr, wie alles gekommen ist. Da wir immer zusammen lebten, immer in diesen vier Wänden eingeschlossen waren, einer neben dem anderen, ohne daß es jemals eine Abwechslung gegeben hätte, mußte ich ihn schließlich vor der Zeit als meinen Mann betrachten. Ich wußte gar nicht, ob ich ihn liebte; ich war eben seine Frau: das ist alles. Und heute will er mit einer andern seiner Wege gehen. Ach, mein Gott, das bricht mir das Herz!«
Von neuem füllten sich ihre Augen mit Tränen. Denise fragte sie, von tiefem Mitleid ergriffen:
»Vermutet die Tante etwas?«
»Ich glaube, ja; sie ahnt die Wahrheit. Papa hat zu viel mit seinen geschäftlichen Sorgen zu tun; er weiß nicht, welchen Kummer er mir macht, indem er diese Heirat immer wieder verschiebt. Mama hat mich wiederholt ausgefragt, sie sieht ja, wie schlecht es mir geht. Sie war selbst niemals besonders kräftig, aber bei mir findet sie’s wohl etwas
zu
arg …«
Denise umarmte das unglückliche Mädchen und versuchte noch immer, sie zu trösten. Sie werde Colomban heiraten, versicherte sie ihr, und bestimmt gesund und glücklich werden. –
Monate verflossen; Denise kam fast jeden Tag, um Geneviève einen Augenblick aufzuheitern; allein bei den Baudus wurde das Leben immer trauriger. Die Vergrößerungsarbeiten ihnen gegenüber waren für sie eine fortwährende Qual und ließen sie ihren Ruin nur noch schmerzlicher empfinden. Schon stieg das Mauerwerk bis zum ersten Stock empor. Zu allem Überfluß entschloß sich im September der Architekt, auch bei Nacht arbeiten zu lassen, weil er fürchtete, nicht rechtzeitig fertig zu werden. Mächtige Scheinwerfer wurden angebracht, und das Getöse nahm kein Ende mehr. Die Leute arbeiteten schichtweise, ständig wurde irgendwo gehämmert oder gesägt, der ewige Lärm kostete die Familie Baudu auch noch den Schlaf.
Es kam der Tag, wo sie in Zahlungsschwierigkeiten gerieten; bisher hatten sie von den Ersparnissen früherer Jahre gezehrt, jetzt begannen die Schulden. Im Dezember mußte Baudu, entsetzt über die Höhe seiner Wechselverbindlichkeiten, sich zu einem schweren Opfer entschließen: er verkaufte sein Landhaus in Rambouillet. Dieser Verkauf vernichtete den einzigen Traum seines Lebens, und er mußte überdies einen Besitz, der ihn mehr als zweihunderttausend Franken gekostet hatte, für siebzigtausend weggeben. Er war noch froh und glücklich, daß seine Nachbarn, die Familie Lhomme, das Haus zu diesem Preis übernahmen. Die siebzigtausend Franken genügten, um seine Firma noch einige Zeit zu stützen. Denn trotz aller Unglücksfälle wollte er weiterkämpfen.
An dem Sonntag, an dem die Lhommes das Geld bringen wollten, sollten sie zum Essen im »Vieil Elbeuf« bleiben. Frau Aurélie kam als erste. Auf ihren Mann mußte man etwas warten; er hatte bei einem Nachmittagskonzert mitgespielt und sich verspätet. Albert schließlich hatte zwar zugesagt, kam aber nicht. Es wurde im übrigen ein recht trübseliger Abend. Die Baudus, an ein enges und muffiges Dasein gewöhnt, fühlten sich unbehaglich bei dem Zug von Ungebundenheit, den die Lhommes ins Haus brachten. Geneviève, verletzt durch die herrischen Manieren von Frau Aurélie, tat den Mund überhaupt nicht auf, während Colomban die Direktrice offen bewunderte und von Zeit zu Zeit zusammenfuhr, wenn er daran dachte, daß sie Claires Vorgesetzte sei.
Vor dem Schlafengehen wanderte Baudu lange im Zimmer auf und ab; seine Frau lag bereits im Bett. Draußen herrschte mildes Tauwetter; trotz der geschlossenen Fenster und der herabgelassenen Vorhänge hörte man das Gebrause der Maschinen drüben.
»Weißt du, woran ich denke, Elisabeth?« sagte er endlich. »Die Lhommes mögen noch so viel
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