Das Paradies des August Engelhardt
seine Bücher wollte. Hahl glaubte nicht an Bücher. Er glaubte an Taten. Bücher waren bestenfalls unnütz und schlimmstenfalls gefährlich. Wenn das stimmte, was der Langhaarige sagte, hatte sich die Menge der Literatur in der Kolonie an einem Tag mehr als verdoppelt. Am besten warf man sie sofort ins Wasser, präventive Maßnahmen halfen auch beim Umgang mit den Wilden, und diesen Menschen gleich hinterher, für so einen hatte man hier keine Verwendung. Einen Tischler hätten sie brauchen können. Jemanden für die Poststation. Einen Arzt, die starben immer am schnellsten weg. Krankenschwestern. Pflanzer. Aber keinen Langhaarigen, der gerade aus Bombay kam und begeistert erzählte, wie die Parsen am Ufer des Meeres standen und still und in Würde die untergehende Sonne verehrten. Würde gab einem nicht die Verehrung der Sonne, die schien hier sowieso viel zuviel und brannte einem das Hirn weg, wenn man nicht aufpasste, sondern Anstand, Ordnung und Arbeit, daran mangelte es, und dazu würde der Langhaarige nichts beitragen. Dass er aus Indien kam, passte zu ihm, ausgerechnet einer britischen Kolonie, auch wenn die guten Tee machten, das wäre vielleicht einen Versuch wert, Tee hier anzupflanzen, die Kautschukplantagen machten sich schließlich auch ganz gut, man müsste mit den anderen darüber reden, vielleicht heute Abend gleich im Club, wo sich die Kolonialbeamten trafen, nicht die Kanzleischreiber natürlich oder Polizeimeister, sondern die höheren Dienstgrade.
Der Blick ging aus dem Fenster weit übers Meer bis auf Kabakon.
Engelhardt sah die Küstenlinie seiner Insel. Er ahnte die Palmengruppe am Meer, wo er seine ersten Nüsse geerntet hatte, seinen Schlafplatz, nicht weit entfernt. In der Ecke des Arbeitszimmers wartete ein Klavier auf einen Stimmer, der einige Tausend Kilometer anreisen müsste. Auf dem Klavier stand eine Goethebüste. Ein Gecko kletterte dem Dichter über die Nase. Darüber ein Druck, die Toteninsel von Böcklin, hoch aufragend der weiße Stein mit den Felsengräbern, die schlanke Gestalt auf der Barke macht ihre letzte Fahrt. Ein verschnörkeltes Regal mit Familienbildern in Silberrahmen, dazwischen Ameisen, die eine tote Heuschrecke trugen. Ein Foto des Kaisers. Beethoven. Altrosa die Tapete, die Scheiben getönt. Ein Schaukelstuhl. Kristalllüster. Über jeder Sitzgelegenheit eine Decke mit Kordeln, Fransen, Borten, Quasten, treudeutsch, wie es sich gehört. »Das Ende«, sagte Hahl, »unserer Autorität, und das wäre schade, denn wir haben sehr viel dafür geopfert. Geld und Zeit und unsere besten Männer, und auch die Eingeborenen haben viel bezahlen müssen. Unzählige Strafexpeditionen haben dafür gesorgt, dass sie uns respektieren, und unser Auftreten muss dafür sorgen, dass der Respekt nicht wieder nachlässt. Nehmen Sie das nicht persönlich, aber Sie sind definitiv ein Störfaktor.«
»Sie lassen mich auf meine Insel«, sagte Engelhardt, »und ich werde niemanden stören, oder aber Sie halten mich oder meine Bücher hier fest, und ich verspreche Ihnen, dass ich mehr Aufsehen erregen werde, als Sie es sich vorstellen können. Auf meiner Insel bin ich für Sie weniger gefährlich, falls ich das überhaupt sein sollte. Betrachten Sie mich als Gefangenen auf Kabakon.«
»Ich verstehe wirklich nicht, was Sie herführt.«
»Goethe.«
»Goethe?«
»Goethe. Sie haben die Büste auf dem Klavier, hatte mein Vater ebenfalls, auch auf dem Klavier, natürlich, wo sonst. Gibt es einen anderen Platz dafür als das Klavier? Wissen Sie, was der Geheimrat sagte? Nicht nur edel sei der Mensch, hilfreich und gut und so weiter. Das natürlich auch, aber ich meine etwas anderes, am Ende seines Lebens, altersweise sozusagen: Es geht uns alten Europäern übrigens allen mehr oder weniger herzlich schlecht, unsere Zustände sind viel zu künstlich und kompliziert, unsere Nahrung und Lebensweise ohne die rechte Natur. Man sollte oft wünschen, auf einer der Südseeinseln als sogenannter Wilder geboren zu sein, um nur einmal das menschliche Dasein ohne falschen Beigeschmack durchaus rein zu genießen. Genau das werde ich tun.«
Der Gouverneur schüttelte den Kopf. »Sie meinen es ernst. Das bedaure ich für Sie und für mich. Das größte Unglück über sich selbst und die anderen bringen immer die, die es ernst meinen. Sie können Ihr Gepäck haben, meinetwegen, die Sachen stehen unten in der Hafenmeisterei, ich gebe Ihnen ein Schreiben mit, niemand wird Sie hier halten. Aber versprechen
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