Das Paradies des August Engelhardt
gemeint, doch das war Engelhardt nicht wichtig.
»Wir sollten nicht durch das, was wir essen, dem Totengräber bei der Arbeit helfen. Jedes Tier empfindet Schmerz. Jedes Wesen will leben. Wir sollten alle Wesen als unsere Brüder betrachten, mit mitfühlenden Augen.«
»Auch die Kühe?«
»Selbst Schweine?«
»Sogar die Neger?«
Der war gut, richtig gut, da waren sie sich einig. Mitgefühl mit den Negern! Prost darauf und eine Grillplatte für alle, denn das waren doch blödsinnige Argumente gewesen, da kann man doch beruhigt wieder essen, was schmeckt, und trinken, was im Hals kratzt und schwindlig macht, sonst bekommt man am Ende doch nur die Wassersucht, denn krank wird man in diesem Klima nicht von den Schweinen, die man frisst, sondern den Mücken; ob das auch Wesen seien, die unser Mitgefühl benötigen, Mistviecher verfluchte, oder doch feindliche Krieger, die einen mit der Waffe der Malaria niederstrecken wollen? Kein Mitgefühl mit den Mücken oder den Eingeborenen, diesem faulen Pack, das viel zu sehr geschont wird von der Verwaltung! Schließlich kann man verlangen, dass der Neger für die Segnungen der Wirtschaft und Kultur, die man ihm hier bringt, auch etwas leistet, also muss es arbeiten, das faule Pack. Jetzt sollen sie sogar sonntags freibekommen, das ist die Schuld der Missionare, die taufen einfach alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, und noch bevor das Wasser auf der Stirn verdunstet ist, wollen die Wilden am siebten Tag frei, das ist das Einzige, was sie am Christentum interessiert, und prügeln darf man sie auch nicht mehr, wie man will, Einsprach vom Gouverneur, ein echter Negerfreund, wo wir doch die Fortschritte in der Religion, der Heilkunde, der Technik, im Wirtschaftsleben in jahrtausendelangem Ringen erkämpft haben. Warum sollen dann gerade dem Neger diese Segnungen mühelos in den Schoß fallen?
»Weil er sie nicht will«, sagte Engelhardt. »Und nicht braucht. Wer hier eine Handvoll Palmen, ein paar Brotbäume, Papayas und Bananen pflanzt, hat als Bauer schon ausgesorgt und in ein paar Stunden so viel erreicht wie ein Bauer in Europa, der sein ganzes Leben lang arbeitet. Hier ernten sie fast mühelos die besten Früchte und die Kokosnuss, die alleine einen Menschen schon ernähren könnte, während die Bauern bei uns mit riesigem Arbeitsaufwand minderwertige Nahrang erzeugen.«
»Sie sind ja ein…«
»Kokosesser. Das ist er. Ein Kokosesser.« Damit war ein Name gefunden, der hängen blieb, auch in den nächsten Tagen, Herr Kokosesser, mal spöttisch, mal neugierig interessiert, mal mit einer stummen Bewunderung, wie in der Apotheke, deren Besitzer sich über die Theke zu Engelhardt beugte, ganz im Vertrauen gesagt, so schlecht sind Kokosnüsse gar nicht, es ist eine Verschwendung, sie zu trocknen, um Seife und Lichter aus dem Fett zu machen, aber sagen Sie das nicht weiter, die Pflanzer bringen einen sonst glatt um.
Er kaufte bei ihm Kräuter: Spitzwegerich und Ringelblume gegen Wunden, Chinarinde gegen den Druck im Kopf, der immer wieder kam, und Brombeerblätter für die Schmerzen in den Eingeweiden. Penicillin nahm er keines. Alle Krankheit entstand nur aus Unnatur, falscher Ernährung und falschem Leben. Licht, Luft, Wasser, Bewegung und Wärme allein hielten einen Menschen gesund, so hatte er es im Jungborn gelernt. Hier hatte er Scharlach bekommen, war immer müder geworden und heißer, die Zunge weiß, der Rachen rot und Ausschläge in den Leisten, die sich von dort in den ganzen Körper fraßen: Immer wieder dämmerte er weg für Stunden oder Tage und versank in Fieberträumen, doch Just hatte ihm Penicillin verboten und stattdessen Quarkwickel und Essigsocken verschrieben. Die Krankheit sei notwendig, eine Reinigung des Körpers, der das Fieber und die Entzündung nutze, um schädliche Stoffe zu verbrennen. Er solle froh darum sein und sie nicht künstlich verkürzen. Walter wachte an seinem Lager. Anna gab Belladonna, saß manchmal bei ihm und legte die kühle Hand auf die Stirn. Ihr braunes Haar fiel über sein Gesicht. Einmal summte sie ihm ein Lied, er kannte den Text nicht, eine einfache Melodie, die er seither nie wieder vergessen hatte. Sie hielt ihre Augen geschlossen dabei, sodass er ihr Gesicht beobachten konnte, ihren Mund, weich und spöttisch, sie verstand alles sofort und machte sich im gleichen Moment darüber lustig, das hatte ihn immer irritiert, wie konnte man lächeln, wenn man eine große Wahrheit erfuhr, und warum lachte sie über
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