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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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diejenigen, die sich bemühten, sie umzusetzen?

Er war froh, als das Schiff ihn nach ein paar Tagen wieder auf seine Insel brachte und er diese Welt verlassen konnte, in der die höheren Töchter für immer und ewig in weißen Rüschenkleidern beim Mittagstee sitzen würden, mit dem sie das Chinin runterwürgten. Die Bücher waren inzwischen alle an Bord, einige Tausend Bände, manche seiner Lieblinge, die er immer wieder las, an erster Stelle natürlich Emile oder über die Erziehung, obwohl Rousseau sich täuschte, als er schrieb, die Menschen der Südsee seien um die Hälfte glücklicher als die Europäer, nicht um die Hälfte, um ein Doppeltes, Dreifaches waren sie glücklicher.
    Die Ernährungsbücher von Theodor Hahn. Haeckel natürlich, der Sonnenanbeter. Nietzsche, Schopenhauer, Marx und Feuerbach. Die Bücher von Baltzer, dem Gründer des Vegetariervereins, den man in die Festung gesteckt hatte, weil er den Kronprinzen wegen seiner Jagdleidenschaft kritisiert hatte. Kehrt zur Natur zurück! von Adolf Just. Ein paar der Dramen von Ibsen. Goethe. Viel Modernes, darunter alles von Stefan George und Hauptmann, obwohl sich der Erste zu heilig gab und der Zweite zu sozialdemokratisch. Mir zur Feier von Rilke. Fontanes Romane. Der Simplicissimus. Das Narrenschiff, aber auch Victor Hugo, Shakespeare in der Schlegel-Tieck’sehen Übersetzung und natürlich Die Schutzinsel von Stevenson. Auf Lateinisch nur die Selbstbetrachtungen von Marc Aurel, ein paar der Briefe von Cicero, die Confessiones von Augustinus, die Germania. Die Griechen alle im Original mitsamt den dazugehörigen Wörterbüchern. Thukydides. Herodot. Homer sowieso. Von Aristoteles fast nichts, aber alle Dialoge Piatons. Die Sprüche von Diogenes, dem Ersten, der sich Weltbürger nannte. Nackt und mit Wanderstab kam er in die Stadt und warf seinen einzigen Becher weg, als er ein Kind sah, das Wasser aus der Hand schlürfte, so frei musste man werden, so radikal und bedürfnislos, dass selbst der große Alexander einen beneidete, nur dass Diogenes sich auf dem Marktplatz befriedigt hatte, war irritierend, und sich anschließend beschwerte, dass die Bedürfnisse des Bauches nicht ebenso schnell verschwanden, wenn man ihn streichelte. Es wäre Engelhardt lieber gewesen, wenn er das nicht getan hätte.
    Nicht alles hatte er gelesen, doch das würde er ändern. Jahre standen ihm zur Verfügung, Jahrzehnte, um alles zu lesen und alles zu verstehen. Schließlich würde er selber etwas schreiben, wenn er nur die Sprache finden würde, die richtigen Worte und seine Gedanken ordnen könnte, sodass einer nach dem anderen kam und nicht immer so viele zur gleichen Zeit.
    Außer den Büchern war ein Pflanzer auf dem Schiff, der seinen Gruß nicht erwidert hatte, einer der Männer aus dem Deutschen Hof, hohlwangig, fieberzerfressen, zitternde Hände, obwohl er noch jung war, Mitte zwanzig, nicht älter als er, ein Opfer des Fleisches und des Alkohols, das hatte seinen Organismus geschwächt. Er war eine leichte Beute für das Sumpffieber und eine Einsamkeit, die einen anfiel aus den stumpfen Augen. So sahen die aus, die keine Hoffnung mehr hatten.
    Neben ihm eine eingeborene Nonne, betrogen von den Missionaren, eingepfercht ins schwarze Ordenskleid, steifer Kragen, Rüschen am Ärmelansatz, in der Hand ihr Brevier, um den Hals ein silbernes Kreuz; vor ein paar Monaten war sie noch nackt und frei gewesen und hatte die Sonne verehrt. Jetzt war sie aus dem Stand der Gnade gefallen, hatte die Märchen von Sünde und Vergebung gelernt und betete den Leidensmann am Kruzifix an. Er hatte sie schon in Herbertshöhe gesehen, an der Lourdesgrotte, gemauert aus den porösen Basaltsteinen der Vulkanberge, eine weiße Gipsmaria, leicht angegriffen von der Feuchtigkeit und schon etwas bröselig, die Augen sehnsüchtig zum Himmel erhoben, davor das kniende Schäfermädchen, es war doch ein Schäfermädchen? in Anbetung der Muttergottes. Vor den Gipsfiguren kniete die Nonne, imitierte die Gipsschäferin, genauso versunken, und er hätte sich gewünscht, dass sie zu den Geistern ihrer Ahnen betet, aber diese stumme Unterwürfigkeit war ganz und gar christlich, die Tolai verhandelten sonst immer laut mit den Dämonen.
    Der Boy des Kapitäns half ihm, die Kisten an Land zu bringen. Er wartete, bis das Schiff außer Sichtweite war, bevor er sich auszog und die Sonne genoss, die endlich wieder den ganzen Körper beschien, ein tropischer Sonnenkraftakkumulator würde er werden, ein

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