Das Paradies des August Engelhardt
zurück.
Anna stand über ihm und weinte heiße Tränen auf seinen Leib, sie schnitt sich die Adern auf und ließ ihr Blut über ihn laufen, sie hatte Diefenbachs Farben gestohlen und tröpfelte Blau und Gelb auf seinen Bauch.
Er öffnete die Augen. Aus nachtschwarzem Himmel fielen fette Tropfen, zuerst nur ein paar, unentschlossen, als koste es sie Überwindung nach der langen Trockenzeit, dann immer mehr, die in dem trockenen Sand explodierten und unzählige Krater schlugen. Das Meer schäumte glasgrün, die Wellen hämmerten auf den Strand. Möwen im Tiefflug pickten Krebse heraus. Der Regen wurde stärker, als fielen die Tropfen nicht nur, sondern würden zu Boden geschleudert. Er stand auf und duschte sich die Salzkruste der vergangenen Wochen ab. Wasser umfloss ihn von allen Seiten, er trank es, wusch sich die Augen aus, die filzigen Haare, immer heftiger goss es, ein warmer Sturm zauste die Palmen, seine Bäume, Zeichen des Sieges über den Tod. Baum troff und Borke, bei so einem Wetter hatte er Diefenbach verlassen, zusammen mit Fidus, der zum Infidus geworden war, das hatte der Maler ihnen hinterhergerufen, auf der Schwelle stehend, beide Hände am Türsturz, Tuch um die Hüften, sie seien untreu und dürften nicht gehen, bleiben müssten sie und lernen. Seine Härte ihnen gegenüber sei wichtig gewesen, denn das Ziel sei ein starkes, zähes, ausdauerndes, hartes, lebensfähiges Volk.
Der Regen war kalt in den Kragen geflossen. Das gehe nicht mit Nachsicht, mit Weichheit, mit Kompromissen, sondern nur mit Kontrolle der Köpfe und Körper, doch sie hatten keine Lust mehr auf Disziplin, das hatten sie beim Militär schon nicht gehabt, außerdem hatte er Anna weggesperrt für Tage und Wochen. Bethmann und Pastor waren schon längst abgereist, im Jungborn könne man auch nackt gehen und müsse weniger Regeln befolgen, doch Engelhardt hielt dem Maler die Treue und wollte ihn nicht verleugnen oder verraten, und vor allem Anna noch einmal sehen, doch der Maler schickte sie heimlich fort, weil sie ihn enttäuscht hatte, so wie sie ihn jetzt enttäuschten, weil sie zu kleinmütig waren, das waren die letzten Worte gewesen, die er von ihm hörte, Kleinmütige! und ein paar Flüche, die schon der Regen schluckte. Fidus und er hatten lange geschwiegen, bis nach Augsburg, ein Tagesmarsch durch Pfützen und Schlamm, wo sie eine Nacht im Gasthof verbrachten und sich betranken, bis beide weinten wie Kinder nach dem Tod des Vaters.
Die Welt rauschte, Meer, Wind und Regen, so laut war es hier noch nie gewesen, ein ferner Donner rollte, ein neues Lied auf seiner Insel, das Lied vom Regen der Tropen, auch der ein Gruß der Sonne, gewärmt von ihr, weich und duftend, ein Sonnenregen. Sie hatte das Meer getrunken und spie es über ihm wieder aus, seine treusorgende Mutter. Ein paar Tropfen später schon bohrte sie goldene Strahlen durch die Wolken, die sie von innen her aushöhlten, in kleinere Fetzen zerrissen, die violett und zart über den Himmel trieben, bis sich auch die ergaben und auflösten. Die Pfützen auf dem Strand trockneten, Palmen glänzten frisch, kleine Bäche flossen vom Dach seiner Hütte. Das Meer war wieder ruhig. Er schwamm lange und froh, nur der Grund war aufgewühlt, und er konnte nicht erkennen, was unter ihm war.
Regen fiel jetzt jeden Tag, meistens am Morgen. Engelhardt schlief in der Bücherhütte, wurde geweckt vom Rauschen, blieb liegen, bis es schwächer wurde, weil er keine Lust auf Wolken hatte, grauen Himmel hatte er für den Rest seines Lebens genügend gesehen, genügend Wolken, oft genug der stumpfsinnigen Monotonie der Tropfen gelauscht. Liegen bleiben also auf dem Bett aus Bambus und Lianen, das er sich gebaut hatte, weil kleine Bächlein durch die Hütte flossen und er nicht im Sand liegen konnte, ein halbes Jahr noch, hatte Pater Joseph gemeint, dann kommt die Trockenzeit. Er dachte an die Wochen bei dem Maler oder die Monate im Jungborn, während es nur noch tröpfelte. Weiter zurück in seiner Vergangenheit ging er nicht, die Schwelle würde er nicht überschreiten, da passte er auf, nichts von seiner Familie, nichts vom Schmerz, den würde er nicht einladen, nicht hierher auf seine Insel, den hatte er im Nebelland gelassen. Stattdessen las er ein paar kürzere Gedichte, bis es leise gluckerte, stand vorsichtig auf, um sich den Kopf nicht an dem Querbalken zu stoßen, trat aus der Tür, als die Sonne wieder schien und die Welt dampfte. Die Bücher quollen auf von der
Weitere Kostenlose Bücher