Das Paradies des August Engelhardt
Limlimbu war die Existenzform der Zukunft. Engelhardt berührte sein Gegenüber am Oberarm. Limlimbu, sagte er und zeigte auf sich und den anderen. Der hörte auf zu reden, zog die Mundwinkel hoch, grinste ihn an, ließ den Kopf von links nach rechts pendeln als Zeichen, dass er verstanden hatte, drehte sich um und bedeutete Engelhardt, ihm zu folgen. Gemeinsam gingen sie vor an den Strand. Limlimbu hieß Schnecken zu sammeln im seichten Wasser, eine Sorte mit weißem Haus. Der andere brach die oberste Spitze ab und steckte sie in einen Blätterkorb. Limlimbu hieß Delfinen zuzusehen, die weit draußen sprangen. Eine Wolke am Horizont zu betrachten, die sich aufbauschte, größer und fast schon bedrohlich wurde und dann doch wieder in sich zusammenfiel. Sich ins Wasser fallen zu lassen, wenn es zu heiß wurde, und eine Nuss zu essen, wenn der Hunger kam. Auf die eigene Brust zu weisen und seinen Namen zu sagen, langsam und Silbe für Silbe, damit ihn der andere verstand, KA-BU-A, AU-GUST, und zu lachen, wenn der dann versuchte, ihn nachzusprechen. Ein Tabakblatt zusammenzurollen und gemeinsam zu rauchen, endlich, dachte Engelhardt, mein schwarzer Bruder reicht mir das Kalumet. Er kehrte erst im späten Licht des Nachmittags zurück an seinen Strand.
Der Häuptling erinnerte ihn an Diefenbach, derselbe Blick, flackernde Tieraugen, sehr ernst und sehr präsent, die sanfte Oberfläche täuschte, darunter lag einer, mit dem man keinen Streit haben wollte, bloß nicht, denn jeden Moment konnte etwas aus ihm herausbrechen, und dann würde es Tote geben. Die anderen Eingeborenen begegneten ihm ähnlich wie sie damals dem Maler, ihrem Meister und Lehrer, so nannte ihn Fidus, Meister und Lehrer und Vater, sodass man ihm im Vertrauen auf seine Führerschaft in allem und jedem unbedingten Gehorsam leisten musste. Es war verboten, die Stadt zu besuchen, heimlich zu essen, Bücher zu lesen, die nicht der Meister empfohlen hatte. Die Eltern durften keine Zeit mit ihren Kindern verbringen. Nichts durfte geschrieben werden, was nicht Diefenbach las. Er bestimmte, wann man morgens badete und nachts das Licht gelöscht wurde. Er führte Paare zusammen, trennte sie wieder und bestimmte, wer keusch bleiben musste.
Engelhardt ertrug es, weil es ein Ziel gab, eine Welt ohne Unnatur, das war es wert, viel zu erdulden, dachte er, das Leben wird dem inneren Gott geweiht, ohne die Rohheiten und die Entartung der heutigen Gesellschaft, vielleicht weiß Diefenbach ja, wie das zu erreichen ist, und hatte nicht auch Christus den Jüngern einiges zugemutet, ihnen die Berufe genommen, die Familie, die Sicherheit? Deswegen ertrug er es nicht nur, sondern verzieh ihm sogar, dass er seine Annabibel konfisziert hatte. Was ist schon ein Buch, sagte Diefenbach, wenn sich hier bei uns und durch uns die Bestimmung der Menschheit erfüllt. Immer hatte er Farbkleckse auf den Händen und Armen, sogar direkt nach dem Bad im Bach am Morgen, nichts, was einer schreibt, ist wirklich wichtig, auch nicht, was du geschrieben hast, einzig die Maler sind die echten Propheten, die Schreiber erfinden nur, aber die Maler sehen, sie konzentrieren sich auf die Wahrhaftigkeit, unendlich viele Bilder fallen durchs Auge und der Maler sortiert all das Nichtswürdige aus. Nur wenig hat Bestand vor seinem Blick, während der Schreiber umgekehrt vorgeht, ein leeres Blatt liegt vor ihm, und er wählt nicht aus, was wahr ist und wichtig, im Gegenteil, er reiht eine Nichtigkeit an die andere, um seine Seiten zu füllen.
Immer wieder habe ich ihm geglaubt, dachte Engelhardt, nicht bedauernd, eher leicht resigniert, selbst als er sagte, er sei ein Prophet und dürfe gleichzeitig mit Anna und seiner Ehefrau zusammen sein und allen anderen Frauen, die er erwähle, weil seine Liebe so groß sei, dass sie drei, vier oder mehr Frauen gleichzeitig glücklich mache. Walter ertrug es, weil er heimlich floh, in einer Kneipe soff, Kaffee einschmuggelte, eine der Jüngerinnen mit Keuschheitsgelübde verführte, ohne dass der Maler es merkte, er war ein Meister darin, nicht erwischt zu werden, und Engelhardt hatte ihn einerseits bewundert dafür und war doch unsicher, ob das der richtige Weg war, schließlich ging es um Aufrichtigkeit und um Mut.
Nur Pastor, der inzwischen angekommen war, musste nichts ertragen, denn er lebte so leicht, dass nichts Unerfreuliches ihn je erreichen konnte. Er hatte seine Kleider einfach von sich geworfen, sang vor sich hin, spielte Gitarre, himmelte Anna an,
Weitere Kostenlose Bücher