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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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Wärter, er hat sich schon nach einer halben Stunde Wachs in die Ohren gesteckt und war trotzdem anschließend dienstunfähig, wir mussten ihn zurück nach Deutschland schicken. Er sei verzaubert worden von den Liedern, Unsinn natürlich, aber der arme Kerl glaubte das wirklich und hat sich inzwischen erschossen. In Hamburg, kurz nach der Ankunft. Die Lieder gehen nicht mehr weg, hat er geschrieben. Einer meiner Boys hat neulich gesungen, und meine Frau hat es übersetzt. Es war Ihr Lied. Das Der-Weiße-der-auf-Bäume-kettert-und-Nüsse-isst -Lied. Man singt es anscheinend in der ganzen Kolonie in unterschiedlichsten Variationen, ich habe den Boy gefragt, und der sagt, er kenne es von einem Onkel aus Finchhafen. Das ist tausend Kilometer entfernt. Zuerst dachten die Eingeborenen, Sie sind ein Toter, der die schwarze Haut abgeworfen hat und jetzt als Geist bei ihnen lebt. Inzwischen haben sie gemerkt, dass Sie ein Mensch sind. Außerdem wird Ihre Haut immer dunkler, singen die Tolai, Sie lieben die Palmen mehr als die Menschen, und je länger Sie bleiben, umso mehr werden Sie einer von ihnen, aber das werden Sie nicht, passen Sie auf, und das wollen Sie auch gar nicht, denn die verstehen uns nicht, und wir verstehen die nicht.«
    Hahl zog das gelbe Tuch aus der Tasche und tupfte sich die Stirn, überlegte kurz, das Tüchlein auszuwringen, beherrschte sich aber, lockerte dafür die Krawatte, nicht zu sehr, und sah auf den nackten Oberkörper des Kokosessers, den der leichte Wind kühlte. Wenn der verdammte Wäscher alles nicht wieder so sehr gestärkt hätte, wäre es erträglicher, aber er hatte sicher wieder die dreifache Menge Stärke verwendet, weil es ihm Freude machte, wenn die Kleider nach dem Bügeln fast von alleine standen, oder um sich an den Weißen zu rächen, die luftdicht verpackt langsam eingingen. »Ich lerne ihre Sprache«, sagte Engelhardt. »Der Häuptling kommt alle paar Tage und bringt mir etwas bei. Das ist schwierig. Er zeigt auf etwas und spricht es vor und ich spreche es nach, aber ich habe trotzdem zuerst alles falsch verstanden. Er hat auf die Palme gezeigt. Auf das Meer. Auf eines der Schweine, und ich habe Palme, Meer und Schwein verstanden, aber das war es nicht. Ich hatte erwartet, dass er mir die Hauptwörter beibringt, aber er meinte die Verben. Klettern. Schwimmen. Essen.«
    »In der Kolonie gibt es ein paar Hundert Sprachen. Eine einzige zu lernen lohnt sich da nicht. Reine Verschwendung.« Hahl zog das Jackett aus und hängte es über den Stuhl. Es behielt seine Form wie aus Marmor gemeißelt. »Vielleicht haben Sie recht. Eine einzige Sprache wäre besser. Früher habe ich Esperanto gelernt. Ich hoffe noch immer, dass sich die Sprache verbreitet. Wenn die ganze Welt sich verständigen kann, wird das ein Weg zum Frieden sein.« Die verdammte Krawatte. Unverschämtheit, hier in Krawatte sitzen zu müssen, diesem Halbwilden gegenüber, der gerade mal einen halben Quadratmeter Stoff am Leib trägt. Es fehlt der Fahrtwind des Schiffes, der hatte es noch erträglich gemacht.
    »Sie sind ein Romantiker, und wenn ich das sage, dann ist das kein Lob. Nie wird Frieden herrschen, sondern der Mächtigste. Und ob man in einer Sprache lügt oder hundert verschiedenen, macht keinen Unterschied. Außerdem hat Verständigung nur wenig mit der Sprache zu tun. Dass die Wilden uns nicht verstehen, liegt nicht an den Worten. Am besten begreifen sie Befehle. Das ist eindeutig. Keine Ironie, kein doppelter Boden, kurz, klar, direkt, und wir sehen am Ergebnis, ob sie es erfasst haben. Alles andere ist unnötig. Haben Sie mir vielleicht noch etwas zu trinken?« Hoffentlich kein Anfall. Der letzte lag erst ein paar Tage zurück, und wenn das Fieber so häufig kommt, ist das ein schlechtes Zeichen.
    Der Kokosesser schlug eine Nuss auf und reichte sie ihm. Er hätte jetzt viel für ein Bier gegeben. Ein Bier in einem deutschen Kastaniengarten, Ende März, das erste Bier im Freien, das schönste des ganzen Jahres, die Knospen schälen sich gerade heraus, Vogelstimmen in der Luft, vielleicht blühen Osterglocken oder zumindest der Krokus, und man freut sich auf alles, was kommt, während hier immer alles gleichzeitig stattfindet, Blüte, Frucht und Absterben am gleichen Baum zur gleichen Zeit, es fehlt der Rhythmus, der den Dingen eine Bedeutung gibt.
    »Sie denken, dass Sie ein Realist sind«, sagte Engelhardt, »weil Sie die Dinge einfach sehen, aber Sie täuschen sich. Wir können die Eingeborenen verstehen,

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