Das Paradies des August Engelhardt
ohne dass ihm das Herz schmerzte, half Diefenbach, die Leinwände zu grundieren. Ohne Widerstand glitt er durch die Welt und zum Dank dafür liebten ihn alle. Engelhardt beneidete ihn. Er lebte, als hätte er kein Gewicht und atmete Glück.
So wie er selber jetzt auf der Insel. Es war ihm schwieriger gewesen als Pastor und er hatte kämpfen müssen dafür und weit reisen, aber er hatte es geschafft, vielleicht auch dank Diefenbach. Alle Fragen des Lebens müssen in diesem Leben ihre Lösung finden, einer der Sätze des Lehrers, die blieben, auch als sie ihn verließen, sonst wäre dieses Leben nicht die höchste Erscheinung auf der Erde, sondern ein Unsinn und Unding. Wegen solcher Sätze blieb er länger, als er eigentlich wollte, und wegen Anna, er erinnerte sich an jede Geste von ihr, jeden Schritt, den sie ging, und die Bilder, die Fidus von ihr gemalt hatte, zwei große in Öl und ein paar Skizzen, Kohlestriche auf dem Papier, mit Aquarellfarbe ein paar Tupfen dazugesetzt. Den Holzschnitt, Anna als Urmutter allen Lebens, auf dem Schoß das ewig Kind, ihr nackter Körper auf dem Erdball stehend, Haupt in den Himmeln, sie verschlungen im Kuss mit einem Mann, in dem er sich selber sah, das bin eindeutig ich, hatte er gedacht, nicht ich, wie ich jetzt bin, aber wie ich sein werde, nackt, stark und langhaarig, vielleicht sind Maler doch Propheten und wissen, was geschehen wird, er hätte Fidus fragen sollen, aber dazu hatte ihm der Mut gefehlt.
Sein Abendmahl: eine halbe Nuss, Papayas, Tomaten und Gurken. Letztere hatte einer seiner Vorgänger hier angepflanzt, er hatte die Stelle am Waldrand entdeckt, sie wuchsen wie Unkraut, breiteten sich aus über das Yamsfeld und erwürgten sogar ein paar von den jüngeren Palmen. Hinterher schrieb er Briefe an die Freunde in der Heimat, solange es hell genug dafür war: Es kam, dass ich Europa ganz verließ / Und Kabakon, ein Südseeparadies, / Ein Kokoshain und trop’scher Sonnenpark / Wird spenden Leben mir und neues Mark.
Oh wärst du ein Teiler solcher Freude, wie ich sie hier auf der Insel empfinde. Bau dir und deinen Liebsten eine nette Hütte und lebe ohne den alten Unsinn der Kleider, der Hüte und Schuhe. Lebe hier, jung und nackt, und begrüße die Sonne. Du bis zu gut für Berlin. Europa und seine Kultur ist eine Eintagsfliege. Es wird untergehen, es muss. Komme und erlange größten Reichtum, höchste Gesundheit, unendliches Glück und werde ein neuer, ein göttlicher Mensch. Nieder mit den Polen, hoch der Äquator!
Er legte gepresste Blätter von Orchideen bei, denn die Worte kamen ihm zu blass vor, zu klein, er hätte größere Worte gebraucht, um das Leben hier zu besingen, farbigere, aber was war ein Wort gegen den Hauch des Abendwinds, der den nackten Körper liebkost, gegen die Umarmung der Palmen, den Kuss der Sonne, die Zärtlichkeit des Wassers, die Liebe der Welt.
Kabua kam an einem der nächsten Tage, als er gerade schwamm, seine Freunde, die Seekühe, besuchte, die mit breiten Mäulern durchs Seegras pflügten. Die schweren Körper trieben in der sanften Dünung. Die Gestalt des Häuptlings war fast nicht zu erkennen, klein und fern stand er auf dem Strand, winkte nicht, sah nur nach draußen aufs Meer, und Engelhardt drehte um und ließ sich zurücktreiben. Der Häuptling begutachtete seine Hütte und schien nicht zufrieden, er rüttelte an den Bambusstangen, die das Dach trugen, verschob ein paar der Palmwedel, drückte an dem Stützpfeiler hemm, aber darum ging es ihm offenbar nicht, denn er nahm Engelhardt an die Hand und führte ihn auf die andere Seite der Insel zu einem Platz abseits des Dorfes. Drei Männer schlugen abwechselnd Nüsse auf einen Pfahl mit Eisenspitze. Vier andere kratzten mit einem Schaber das Fleisch heraus, Frauen breiteten die Stücke in der Sonne aus, um sie zu trocknen, andere saßen auf dem Boden und webten. Eine stillte.
Eine andere lauste ein Kind. Sie wussten, dass er kommt, denn niemand reagierte auf seine Gegenwart, keiner floh, keine Dolchstoßblicke von der Seite. Eine Horde Kinder war ihnen gefolgt. Ein Junge traute sich, spurtete vor, berührte Engelhardts Hand, erschrak über seine Tapferkeit, ein kleiner, spitzer Schrei, blasses Gesicht, zurück zu den anderen, ein größerer kam, strich ihm über das Bein, rannte davon, als Nächstes ein Mädchen, um den Hals drei Muschelketten, sie ging sehr langsam, streckte die Hand aus, hielt seinen Oberarm, lange, dass alle es sahen, schritt schweigend
Weitere Kostenlose Bücher