Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
Vom Netzwerk:
bin? Schreibe mir, dass es richtig ist, die Sonne zu suchen. Sie wird kommen, gegen zehn oder elf, und den Regen vertreiben. Ich bete jeden Morgen darum, und werde erhört, sonst könnte ich keinen Tag existieren. Jetzt rollt ein Donner übers Meer und ich erzittere, doch egal, zuerst das Geständnis - aber halt, ich will Dir schreiben, wie’s dazu kam, dass ich gegen alles verstieß, was uns heilig ist.
    Kabua kam zu mir, der Häuptling, klein, sehnig, zwei Eberhauer auf der nackten Brust. Um ihn eine stille Form von Stärke, die seine Leute dazu bringt, ihm zu gehorchen, damit er ihnen nicht zürnt. Man möchte ihn nicht zum Feind haben. Er ist ein edler Mann, dachte ich, frei und stolz, aber das ist er nicht, sondern ein Schlächter wie der Rest seines Volkes, wie ich selbst einer bin. Widersprich nicht! Vielleicht hattest Du recht, als Du damals sagtest, unterschiedliche Rassen müssten getrennt leben. Ich hatte es nicht geglaubt, das war ein Fehler. Walter, mein Freund, ich werfe nie wieder den ersten Stein, dabei dachte ich zuerst, dass er mich versteht, denn er hat uns ein vegetarisches Mahl aus Taro bereitet, das schmeckt wie Kohlrabi und wird scheibchenweise geröstet. Dazu gab es süße Kartoffeln. Wir sprachen wenig, denn ich kenne nur einige ihrer Wörter, dabei spricht der Häupding Deutsch. Das weiß ich von einem Missionar. Er kann sogar lesen, aber beides hat er mir verheimlicht. Sie betrügen einen hier dauernd, vermutlich sogar ums Geld, aber ich bin zu müde, um das zu kontrollieren. Und was ist schon Geld. Ich lebe hier von ein paar Nüssen am Tag, die mir in den Schoß fallen. Vermutlich stiehlt Kabua sogar meine Bücher. Immer fehlen welche, und manchmal tauchen sie wieder auf, aber stehen an den falschen Stellen. Besitz respektieren sie nicht. Auch die Weiber teilen sie, nur die Felder sind Privateigentum, und wer eine Frucht vom Feld des Nachbarn stiehlt, den darf man töten, und genau darum geht es, ums Töten, um mein eigenes Töten, erschrick nicht, es ist geschehen, aber ich war nicht bei mir, vielleicht von der Nacht im Männerhaus: schwerer Geruch von Schweiß und Nelken und Blut in der Luft, an der Wand die Masken von Geistern, fratzenhaft verzerrte Gesichter aus Kinderalbträumen, wie Wasserspeier unserer gotischen Kirchen, heidnisch und wild von einer seltsamen Macht. Kaum schloss ich die Augen, bewegten sie sich, ich schwöre es, sie bewegten sich und glotzten mich an aus den leeren Augenhöhlen. Dauernd stand einer auf. Der Boden schwankte. Die Wände wiegten sich im Wind. Nichts war hier sicher und fest. Es wurde geschnarcht, geraucht und sich gelaust. Immer strich einer über meine Schulter, betastete das Gesicht, fingerte im Bart herum, der besonders fasziniert sie, denn die Männer hier rupfen sich die Barthaare mit Muscheln so lange aus, bis sie nicht mehr nachwachsen. Gegen Morgen schlief ich ein. Wieder strich einer durchs Haar, aber kein Mensch, eine Hand aus Ästen und ich lag wie gelähmt und konnte nicht schreien und mich nicht mehr rühren, bis Kabua mich weckte. Er tat so, als sei nichts geschehen. Wir können in den Gesichtern der Wilden nicht lesen. Sie lügen und lachen uns an, sie sagen die Wahrheit und grinsen falsch. Kein Frühstück, sondern ein Gebräu aus Kräutern, das er mir über den Kopf kippte. Es roch bitter und scharf und brannte in den Augen. Dann sollte ich ins Boot. Ein Einbaum, rechts und links Ausleger, damit er nicht kippt, groß genug für sechs Männer, aber wir waren zu zweit. Eine magische Reise. Den Speer stieß er ins Meer und murmelte dabei immer wieder Gebete. Wir ruderten schweigend und weit. Kein Land mehr zu sehen, nicht die Gischt der Wellen, die sich am Riff brechen. Die Einsamkeit der See. Viel später steckte er eine Rassel aus Kokosnussschalen ins Wasser und sang. Ich sollte mitsingen. Es war eine einfache Melodie. Ich kann sie noch immer, summe sie jetzt, hier in meiner Hütte, nackt auf einem Bett aus Bambus, umgeben von einem Wall aus Büchern. Dunkel der Raum, denn die einzige Tür ist geschlossen. Wände aus Palmwedeln. Palmendach, leise summend, ein Lied, wie Anna es gesungen hat, als ich krank lag. Grüße sie von mir und sage, ich werde ihr schreiben, ich habe es oft schon versucht, aber es geht nicht. Sei gut zu ihr, ich bitte Dich, und verzeih mir, ich habe ihr eine Locke von meinem Haar gegeben, bevor ich fuhr, das war dumm, ich glaube, ich hatte davon gelesen, außerdem wollte ich, dass etwas von mir bei ihr bleibt,

Weitere Kostenlose Bücher