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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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ihnen, pickte im Sand, der Kopf ruckelte, ein leises Gurren, unruhiges Flattern der Flügel und sie flog wieder davon. Engelhardt erbrach seine Geschichte, es ging um den Tod eines Hais, die Eingeborenen waren gut darin, sie zu fangen, Pater Joseph hatte die Erzählungen davon gehört, aber noch nie hat ein Weißer einen Hairufer begleitet, und noch nie hatte er erlebt, dass einer so verstört war, nur wegen des Todes eines Fisches, also wartete er weiter. Engelhardt hielt inzwischen den Kopf nicht mehr gesenkt, das hörte er, sprach nicht mehr zum Sand, sondern zum Horizont, ein kleiner Fortschritt, immer wieder die Frage, glauben Sie an Vergebung?
    Pater Joseph schwieg. Die Sonne schnitt über den Himmel. »Ich lese Ihnen etwas vor«, sagte Engelhardt. „Habe ich vorhin gefunden, oder es hat mich gefunden, ich bin immer unsicher, ob ich mir die Texte aussuche oder sie mich, ein Gedicht, Novalis, das kannte ich nicht, ich hätte es lieber nicht gekannt, aber wer kann schon Worte zurücknehmen?
     
    Blühender Jüngling, dem noch Kraft im Beine
    Der nicht Kälte, als deutscher Jüngling scheuet
    Komme mit zur blendenden Eisbahn,
    welche Glatt wie ein Spiegel.
     
    Schnalle die Flügel an vom Stahle,
    welche Hermes jetzt dir geliehn,
    durchschneide fröhlich Hand in Hand
    die schimmernde Bahn und singe Muntere Lieder.
     
    Aber, o Jüngling hüte dich für Löchern
    Welche Nymphen sich brachen, nahe ihnen
    Ja nicht schnell im Laufe, du findest sonst
    den Tod im Vergnügen.
     
    Harmlos, oder? Ein nettes Gedichtlein. Ein deutscher Jüngling scheut die Kälte nicht. Natürlich nicht. Wir sind ja Deutsche. Wir lieben die Kälte. Ich war auch ein deutscher Jüngling und liebte die Kälte. Nicht ganz ein Jüngling, noch nicht, sondern dabei, einer zu werden, eher ein Junge also, neun Jahre alt, ein Jüngling war mein Bruder, er war schon zwölf. Wir waren zur Eisbahn gegangen, der blendenden, wie Novalis schreibt, auch wenn wir nicht Hand in Hand liefen und keine Lieder sangen wie in dem Gedicht, wir waren Jungs, und wer Hermes ist, wussten wir auch nicht. Es war seit Wochen neblig gewesen, das war gut, denn das Eis war glatt wie mit Leder poliert, und wir fuhren um die Wette, er war schneller, natürlich, deswegen hasste ich ihn, schneller, größer und stärker. Er gewann die kurzen Strecken und die langen und stieß mich beiseite, wenn ich ihm in die Quere kam, ganz nebenbei mit dem Ellenbogen, vielleicht hatte er das nicht einmal bemerkt. Einmal wollte ich Sieger sein, ein einziges Mal, und forderte ein letztes Rennen. Er lachte mich aus, ich bettelte, doch er drehte um, wollte zurück, bis ich ihn einen Feigling nannte, das mochte er nicht, ein letztes Rennen, einverstanden, aber dann ist Schluss. Ich bestimmte die Strecke und fuhr los, er ließ mir Vorsprung, dich kriege ich sowieso, und ich lief schneller und blinder als jemals zuvor, blind vor Hass auf seine Überlegenheit, wie Peitschenhiebe das springende Eis, weiße Spinnennetze wuchsen darin, und er rief mich zurück, der Lieblingssohn, aber ich hatte ihm nichts entgegenzusetzen außer meinem Mut, das war alles, ein wütender Mut, und er kam, um mich zu holen, August hör auf damit, aber ich wollte mich nicht holen lassen, immer holte er mich ein, bei jedem Lauf, jedem Spiel, aber diesmal nicht, und ich drehte mich um und schrie, ich habe gewonnen, und war froh, das erste Mal, dass ich gewonnen hatte, das ertrug er nicht, er war er Ältere und kam mir hinterher. Auf dem Wasser Pfützen, einmal brach eine Scholle, und ich rettete mich aufs sichere Eis, lief weiter, verdammte Nymphen und ihre Löcher, immer schneller, gewonnen, schrie ich, drehte mich um, aber er war verschwunden, einfach weg, kein Ton, kein Schrei, kein Krachen des Eises. Man holte ihn später mit Stangen aus dem Wasser, ich durfte nicht dabei sein. Gewonnen, das war das Letzte, was er gehört hatte, da bin ich mir sicher, das letzte Wort auf Erden der triumphierende Schrei Kains, während Abel stirbt, den sein Vater geliebt hatte. Seit jenem Tag glaube ich nicht mehr an Gott. Der Glaube ist von mir abgefallen wie ein Schorf von einer Wunde. Manchmal juckt sie noch. Ich beneide diejenigen, die glauben, ich vermisse den Gott meiner Kindheit, aber das hat mir auch nicht geholfen. Jetzt glaube ich an die Sonne, die Wärme, das Licht. Hier bricht keiner durchs Eis, aber ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Ich bereue es wirklich. Erbarme dich meiner.«
    »Ich spreche dich

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