Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
Vom Netzwerk:
schweigen beide, das ist die Regel, wenn einer spricht, bricht der Zauber, aber August begreift und rudert lautlos mit ihm hinaus. Am Riff rammt Kabua den Speer in die Korallen und weckt den Geist von Moro, den Gott der Haie. Sie rudern, bis sie kein Land mehr sehen und er den Befehl spürt, anzuhalten. Kabua steckt die Kokosnussrassel ins Wasser, schüttelt sie und fängt an zu singen, das Lied der Ahnen, die im Körper des Hais wohnen und die Melodie erkennen. Sie folgen dem Ruf und leiten den Hai zu dem Sänger. Er dreht sich zu August, zeigt auf den Mund, und der singt mit ihm, leise zuerst und unsicher, aber bald kennt er die Worte, es ist ein einfaches Lied, sehr alt, es war schon da, bevor die Menschen das Feuer kannten. Die Rassel schlägt unter Wasser und ruft den Hai, das Lied ruft ihn, die Ahnen drängen ihn, die Sänger zu suchen, es ist die richtige Zeit, denn er hat sie geträumt, nur ist es seltsam, in einem Boot mit einem Weißen zu sitzen, es ist das erste Mal, dass ein Weißer zu einem Hairufer wird, doch es ist kein richtiger Weißer, sonst würde es nicht funktionieren. Kabua singt mit geschlossenen Augen und sieht den Hai vor sich, die kraftvollen Bewegungen des Körpers, das Maul mit den Zähnen, aus denen er eine Kette machen wird. Der Gott der Haie hat sein Opfer angenommen und das Meer ruhig werden lassen und schickt ihm einen Hai, so groß wie zu den Zeiten der Väter, lang wie zwei Männer und böse. Kabua hofft, dass er genügend Kräutersud auf dem Boot verteilt hat. Der Hai kommt aus der Tiefe und kreist um das Kanu. Kabua richtet den Stock mit der Fangschlinge, singt das Lied, rasselt, lockt den Hai, der plötzlich verschwindet. August muss einen Fehler gemacht haben. Er wird ihn als Köder ins Wasser werfen, wie sein Vater ihn, wenn die Beute nicht nahe genug kam, doch da taucht er auf, direkt neben dem Ausleger. Kabua wirft ihm die Schlinge über den Kopf, wie es sich gehört, doch der Hai ist stark und reißt das Boot nach rechts, eine Bambusstange zerbricht. Kabua zeigt auf die Keule, aber August sieht ihm nur zu. Er klemmt das Seil fest und kämpft gegen den Fisch. Die Schnur schneidet in die Hände und das Blut tropft ins Wasser und es dauert lange, bis er ihn über die Bordwand zieht. Das Maul klappt auf und zu und zerbeißt ein Paddel. August hält die Keule und schlägt endlich zu, so oft, bis der Hai stirbt und noch öfter.
    Als sie zurückkommen, gibt es ein Fest. Die Männer schlagen die Trommel, die Frauen rösten den Fisch und kochen Spinat. August bekommt die Rückenflosse, weil er den Hai getötet hat, doch er lehnt ab, steht auf und geht zurück durch den Wald. Er kränkt die ganze Sippe. Die Jungen wollen los, um ihn zu töten, aber Kabua sagt, er ist nur ein dummer Kerl, und alle lachen und trinken Palmwein. Der Weiße bleibt doch ein Weißer und ein dummer Kerl, auch wenn er geholfen hat, den Hai zu rufen, und heute Nacht schläft Kabua mit allen seinen Frauen.

Walter! Ich schreibe Dir! Will Dir schreiben, seit Tagen schon, oder sind es Wochen? Monate? Wer weiß. Hier steht die Zeit still. Jeder Tag wiederholt sich. Immer wieder einen Brief begonnen. Worte gesucht. Wieder verworfen, das Papier zerrissen, obwohl es kostbar ist und das Schiff mir erst nächste Woche einen neuen Block bringen wird, und die Tinte vertrocknet, obwohl ich das Fässchen in dem feuchten Sand eingrabe. Wo bist Du? So fern Ihr alle, zu fern, nur im Traum höre ich manchmal Eure Stimmen. Ruft Ihr mich wirklich, oder glaube ich das nur? Hier rauscht der Regen wie jeden Morgen, Schlammbäche strudeln zwischen den Bettpfosten. Bald schwimmt ein Fisch hindurch. Trotzdem ist es warm und alles sprießt; wo ein Samen hinfällt, schlägt er Wurzeln. Aus Goethes Werther keimt es hellgrün. Moos wuchert auf dem Ledereinband von Kant. Selbst die Bambusstangen, die das Dach halten, treiben aus, und ich fürchte, dass bald Orchideen aus meinem Bart wachsen, aber das wollte ich Dir nicht schreiben, sondern anderes, aber ich wage es nicht, vielleicht war es nur ein Traum. Die werden wahr, schreibt man sie auf. Das ist die einzige Magie, an die ich glaube: die der Worte. Mit ihnen bilde ich einen Kreis um mich, der mich schützt vor dem Zauber der Wilden. Dem bin ich nur einmal erlegen und werde es nie wieder tun, ich schwöre! Nie wieder. Deswegen besuche ich ihr Dorf nicht mehr, höre auf, ihre Sprache zu lernen. Flüchte in meine Hütte, wenn ich sie aus der Ferne sehe. Es ist doch richtig, dass ich hier

Weitere Kostenlose Bücher