Das Paradies des August Engelhardt
Deutschland zurückkehren. Selbst in Herbertshöhe bin ich gewesen, freiwillig, ich hoffte, dort etwas zu finden, aber es widert mich an. Ich wollte Deutsche sehen, aber sie sind wie Kinder, die Zivilisation spielen mit einer großen Ernsthaftigkeit und fremden Kostümen.
Jetzt kommt die Sonne, das morgendliche Bad wartet, später mehr, mein Freund, jetzt ist mir leichter, auch wenn Du mich nicht verstehst. Zwei Stunden später:
Stell Dir eine Palme vor, edel und groß, den schlanken Stamm leicht gebogen, die Wedel dicht, schwere Nüsse darin. Der Fuß der Palme ist halb im Meer, das blau ist und leuchtend. Daneben ein Fels, rund geschliffen und eine natürliche Lehne für mich, der ich hier sitze, die Beine vom Wasser umspült, eine geöffnete Nuss an der Seite. Die Strahlen der Sonne verbrennen die Sorgen und die Gedanken. Überhaupt sollte man weniger denken. Manchmal fürchte ich, dass ich zu viele Bücher hier habe. Ein einziges hätte vielleicht genügt. Oder keines und die Natur hätte mich alles gelehrt, aber ich kann mich nicht von ihnen trennen, sonst überfällt mich die Einsamkeit, obwohl die hier bald endet.
Der Ruf meines Lebens hier hat sich verbreitet bis nach Europa, deswegen bekomme ich in wenigen Tagen Gesellschaft. Ein Max Lützow hat sich angekündigt, Klavier- und Geigenvirtuose, ehemaliger Kapellmeister des Theaters des Westens in Berlin, anscheinend ein Musikgenie, das überall Lorbeeren ernten durfte, er hat mir Besprechungen seiner Konzerte mitgeschickt in vier oder fünf Sprachen. Fabelhafte Summen hat er verdient und sich jahrelang allen möglichen Ausschweifungen hingegeben, in allen Hauptstädten Europas gastiert, bis er schließlich in Italien zusammengebrochen ist, wo ihm in einem deutschen Krankenhaus von mir berichtet wurde. Er schrieb mir und bat mich, kommen zu dürfen, um mein einfaches Leben mit mir zu teilen. Ich erwarte ihn mit dem nächsten Postschiff und wünschte, nicht er wäre an Bord, sondern Du, mein Freund, mein Bruder.
Es grüßt Dich von der Sonneninsel mit der Bitte um Verzeihung und Absolution Dein August.
Dass etwas passiert war, sah Pater Joseph schon vom Boot aus: Engelhardt saß nicht in der Sonne, las nicht, kletterte nicht auf den Bäumen, stand nicht auf dem Kopf oder verrenkte sich wie die Inder, schwamm nicht, hob nicht den Arm zum Gruß, kein Ruf übers Wasser, sprang nicht auf, um das Kanu ans Land zu ziehen, sodass er keine nassen Füße bekam, sondern saß verkrümmt im Schatten einer Palme, starrte vor sich hin, noch immer nackt, doch er trug einen schweren Mantel aus grauem Schweigen, sah nur kurz auf, als er näher kam, ließ den Kopf wieder fallen, vor ihm ein Buch im Sand, Gedichte von Novalis, eine Büchervergiftung, schon länger hatte er befürchtet, dass Engelhardt daran erkranken werde, er las zu viel und zu viel durcheinander, das zersetzte den Geist.
Pater Joseph zog sich aus, wickelte ein Tuch um die Hüften, seine Kabakon-Soutane, so hatte das Engelhardt genannt, als es ihm noch besser ging und er noch keine Ringe unter den Augen hatte. Glauben Sie an Vergebung?, fragte er, ohne den Kopf zu heben, an die Sünde glauben Sie, das weiß ich, aber Vergebung? Glauben Sie daran?
Pater Joseph wusste nicht, was er antworten sollte, sicher nichts von Lukas 24, Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun, und nicht von Paulus, so sei euch nun kundgetan, liebe Brüder, dass euch durch ihn Vergebung der Sünden verkündigt wird, er wusste nicht, ob er überhaupt antworten sollte, Engelhardt wollte beichten, so kam es ihm vor, auch wenn die Situation unpassend war, zwei halb nackte Männer auf dem Strand, auch hatte Engelhardt nicht das Kreuzzeichen geschlagen, nicht den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist angerufen und er selber nicht Gott gebeten, ihm wahre Erkenntnis seiner Sünden zu schenken.
Der Pater setzte sich hinter die Palme. Die war ihr Beichtstuhl, wenigstens ein Teil der Form war so gewahrt. Er sagte nichts. Er konnte warten. Warten und hören, das war das Wichtigste bei einer Beichte. Engelhardt schwieg. Pater Joseph schloss die Augen, hörte die Wellen, den Wind in den Palmwedeln weit über ihnen, ein Kamuk-Vogel rief aus dem Wald, Engelhardt scharrte mit den Fersen im Sand, fing an zu reden, wenn das Eis bricht, dann hat doch keiner Schuld, schwieg wieder, begann erneut, ein Mörder bleibt immer ein Mörder, und wenn es keinen Gott gibt, gibt es dann trotzdem Vergebung?
Eine Taube flatterte von der Hütte her zu
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