Das Paradies des August Engelhardt
getötet, und nicht nur das, sogar gefressen hatten sie ihn, was Fräulein Henning mit einer stillen Genugtuung erfüllte; sie hatte den blöden Köter nie leiden können und Monate mit dem kläffenden Vieh auf dem Schiff verbracht. Friebel trainierte mit Hanteln, David Teitelbaum las sich durch Engelhardts Bibliothek. Pastor brachte Horst Remmele Gitarrespielen bei. Sarah und Hermine lernten, Kuchen aus Bananen und Taro zu backen. Jonathan tauchte tagelang in den Korallen. Anja lag in der Sonne und Martha im Schatten. Manche spielten Fußball mit den Kindern der Wilden, andere schnitzten Figuren aus Treibholz. Theo Kinkel schrieb Gedichte, Hubert Katz Briefe und Walburga Silberman ein Theaterstück über ihr Leben auf Kabakon, Die Kokosesser würde es heißen, obwohl sie auch vieles andere aßen, noch jedenfalls, aber das wollte Engelhardt ändern, er hatte es ihnen vor einigen Tagen in einer der Versammlungen angekündigt. Noch drei Monate lang dürften sie alle Früchte essen und alles Gemüse, dann würde es Zeit sein, sich ausschließlich von Nüssen zu ernähren. Zwei Jahre lang würde ihre Zeit als Nussesser dann dauern, bevor sie sich anschließend nur noch vom Licht der Sonne leben würden.
Er hatte sehr ernst ausgesehen dabei, und keiner hatte ihm widersprochen. Seither gab es immer weniger Obst und immer mehr Nüsse, als müssten sie langsam darauf vorbereitet werden, nichts anderes mehr zu sich zu nehmen, dabei wuchsen hier fußballgroße Orangen, kiloschwere Ananas, alle Arten von Bananen, saftige Mangos und außerdem jede Menge deutsches Gemüse wie Unkraut. Sie ging heimlich in den Wald und aß das Obst dort direkt von den Büschen, immer in der Furcht, dabei gesehen zu werden, aber sie ahnte, dass sie nicht die Einzige war, denn immer häufiger verabschiedeten sich welche zu Spaziergängen im Wald. Dort fand sie Schalen von Früchten halb im Laub vergraben. Jemand hatte ihre Papayas geplündert, ohne dass es diese Früchte bei den offiziellen Mahlzeiten gab. Ein Messer war in den Ästen eines Mangobaumes versteckt.
August kommt immer wieder zu ihm. Er hat keine Zeit für Limlimbu, aber eine Wunde am Bein. Einer der Weißen hat ihn verhext, vielleicht der große Mann mit dem Bart, er ist groß, aber leer, nur eine Hülle, in ihm ist niemand für immer, sondern unterschiedliche Wesen wohnen abwechselnd darin. Ein anderer Mann ist bei ihm gewesen und hat ihm Zahlen gezeigt und gesagt, dass Kabuas Männer mehr Kopra machen müssen, aber er lacht darüber, er glaubt nicht an Zahlen. Als der Mann wieder kommt, gibt er ihm von der Kava, und der Weiße vergisst die Zahlen und das Kopra und lacht mit ihm.
Die Weißen bringen neue Dinge auf ihre Insel. Die Jungen treten jetzt jeden Tag nach dem Ball mit ihnen, es ist wie ein Jagdspiel, aber sie lernen nichts dabei. Jeder der Weißen hat vier oder fünf Geister mit sich gebracht. Seine eigenen Vorfahren klagen, es wird zu eng auf der Insel, aber die Weißen werden bleiben über die Zeit des Regens hinaus, obwohl sie noch keine Hütten haben. Er wird ihnen helfen, welche zu bauen, wenn sie ihn fragen. Sie werden bezahlen mit Geld, davon haben sie viel, oder mit Dingen, die er nicht kennt, auch wenn sie nur wenig besitzen. Ein Feuer hat alles verbrannt, erzählen sie, aber er glaubt ihnen nicht wirklich, denn wenn sie einzeln kommen und er sie fragt, dann gibt es immer noch etwas, das sie vor den Flammen gerettet haben, und sie kommen oft, vor allem, um Essen zu kaufen, gerösteten Taro und manchmal ein Stück Fleisch. Sie starren gierig auf die Schweine, aber die werden gemästet für das Singsing in drei Monden. Nie darf einer der anderen Weißen sie sehen. Sind einmal zwei von ihnen im Dorf, blicken sie aneinander vorbei. Nur die dünne Frau kommt öfter, fast jeden Tag, aber sie isst andere Dinge, ihre Wörter isst sie, ihre Lieder und ihre Tänze. Wie der Musiker, der jetzt tot ist und dessen Geist wieder auf Kabakon lebt. Unruhig ist er und weint nachts und will Rache für seinen Tod, aber einer der neuen Männer besänftigt ihn immer wieder. Er sitzt oft an der Windseite der Insel und schlägt auf ein Instrument mit sechs Drähten und singt laut dazu. Er ist ein Zauberer, wenn er singt, verschwindet sein Kopfweh. Manchmal schleichen seine Frauen, um ihn zu hören, denn die Lieder sind fremd und machen sie stark und schön. Manchmal kommen weiße Frauen zu seinen. Sie streichen sich über die Gesichter und tauschen Worte. Hinterher sind seine Frauen
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