Das Paradies des August Engelhardt
lauter als sonst. Er weiß nicht, ob ihm das gefällt. Seit ein paar Tagen ist eine der Weißen bei ihnen. August hat sie gebracht. Sie hat Fieber. Ihr Körper ist hart und behaart wie der Stamm einer Palme. Der Zauberer glaubt, dass sie stirbt. August besucht ihn und fragt, wie er seine Männer führt, ohne dass sie sich widersetzen, aber er lacht darüber, sie widersetzen sich dauernd. Das ist nicht die Antwort, die August will, aber es gibt keine andere, außer dass es hilft, hin und wieder einen Mann einer feindlichen Sippe zu töten, damit sie ihn respektieren, aber August will nicht töten, nicht einmal Tiere, er ist manchmal ein dummer Kerl.
Walter kam auch nach vier Monaten noch immer auf keine Palme. Engelhardt schüttelte den Kopf darüber. Er verstand es nicht, denn der Freund war kräftiger als er, größer, wütender, wenn ihm etwas nicht gelang, aber die Palmen widersetzten sich ihm. Einmal hatte er immerhin die untersten Wedel berührt, aber der Stamm war nicht länger gewesen als sechs oder sieben Meter. Auch jetzt schaffte er es nur fast, du kannst das Walter, einfach nur hochklettern, aber er rutschte wieder hinunter, fluchte über einen Splitter in der linken Hand, die verdammten Scheißpalmen, und darüber, dass sie als Deutsche dieses Negerzeug essen müssten, überhaupt die Sache mit den Negern, das ist ein Fehler, August, dass du die ganze Zeit bei ihnen bist und ihnen vertraust und den Zauberer gebeten hast, sich um Fräulein Henning zu kümmern, wer weiß, was der mit ihr anstellt, Malaria hin oder her, die besseren Ärzte gibt es in der Hauptstadt der Kolonie, warum müssen es die Wilden sein mit ihrem Tamtam, die haben nicht einmal Chinin, sondern reiben ihr die Beine mit Wurzelsaft ein, das habe ich selber gesehen, roter Saft, ausgerechnet, seit drei Wochen schon liegt die Arme im Fieber. Wenn sie stirbt, ist hier die Hölle los. Das mit den Negern ist eine hübsche Idee von dir, aber du verwechselst deine Ideen mit der Realität, du musst sie anpassen an die Wirklichkeit, sonst geht hier alles vor die Hunde. »Die Wirklichkeit wird überschätzt«, sagte Engelhardt. »Das hast du schon einmal gesagt, in den Bergen, ich erinnere mich, wir waren vom Bifertenfirn Richtung Tödi gestiegen. Ein Unwetter zog auf und ich wollte umkehren, aber du wolltest auf den Berg, unbedingt, die Wirklichkeit wird überschätzt, die Idee des Aufstiegs ist wichtiger als ein bisschen Regen, aber es fing an zu hageln, und wir hockten unter einem Felsvorsprung, nass und kalt.«
»Und stiegen dann doch auf. Die Sonne schien auf dem Gipfel, weit drunten die Wirklichkeit der Wolken. Man darf nicht unten bleiben.«
»Die Wirklichkeit hier ist, dass viele Hunger haben und Lust auf richtiges Essen. Manche planen schon einen Ausflug nach Herbertshöhe. Kartoffeln, Fleisch und ein oder zwei kühle Bier. Viele haben einen Sonnenstich, weil du nicht willst, dass sie im Schatten sitzen. Franz-Karl vermisst seine Brille und kann nichts lesen. Andere nerven die Tropennächte, zwölf Stunden Dunkelheit, so lange kann kein Mensch schlafen, und Licht haben wir auch keines, Lampen sind künstlich, hast du gesagt, und Feuer verboten. Es gibt Streit, weil manche nichts mehr haben, weil alles verbrannte und andere ihre Sachen heimlich gerettet haben. Die Ersten geben beim Postschiff schon Bestellungen auf. Du willst kontrollieren, was sie tun, aber das ist ein Fehler. Du musst ihre Gedanken kontrollieren, dann ergeben sich die Handlungen von selber. Alle müssen das Gleiche denken und fühlen, das ist der Weg. Sie brauchen eine starke Idee, nur Nüsse zu essen ist zu wenig, es muss zwingender sein, größer und schöner, was du ihnen gibst, es muss deutscher sein, achte mal darauf, wer immer bei dir ist, die Neger und die Juden, vielleicht ist das der Fehler, da kommt er ja schon, der kleine David Teitelbaum, kaum redet man von ihnen, wir hätten besser darauf achten sollen, wer hier auf die Insel reist, überlege dir das, August.« David grüßte sie freundlich, er wolle bei der Ernte helfen, stieg die Palme hinauf, schnitt Nüsse aus der Krone, und Walter ging zurück an den Strand.
»Wir müssen das Richtige tun«, sagte Engelhardt zu David, »und dann darauf achten, wie es unser Denken und Fühlen beeinflusst. Wir können nicht die Köpfe kontrollieren, aber die Hände.«
David nickte und schrieb im Kopf mit. Er würde alles notieren, was Engelhardt sagte. Das würde ihm helfen, ein ganzer Mensch zu werden.
Engelhardt
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