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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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ließ ihn allein und spazierte an die Ostspitze der Insel. Wenn Walter doch recht hatte, musste er ihnen noch viel mehr erklären. Manchmal gab es zu viele Stimmen auf der Insel, zu viele Meinungen, er verstand sie nicht. Er war zu einfach geworden, mied die Diskussionen und sammelte lieber Schneckenhäuser. Nur darum ging es, langsam und voller Freude über den Strand zu laufen und Muscheln zu suchen oder im Wald Nüsse zu ernten, ein Buch zu lesen oder zu schwimmen, in den Himmel zu sehen, ein Gedicht zu sprechen, ein Sonnenmensch zu werden, rein und leicht und wie Gott, doch sie verstanden ihn nicht. Zu wenig sei das, hatte Walter gesagt, zwingender müsse es sein, größer und deutscher. Anna folgte ihm, das merkte er plötzlich, ihr Gesicht voller Trauer, die sie nicht erklären wollte, frage nicht, August, sie hatte geweint, frage nicht, du hast schöne Muscheln. Er schenkte sie ihr. Sie hörte dennoch nicht auf zu weinen, ein geflochtenes Lederband in ihren Haaren, ihre Augen blau und stumpf, als habe sie einer mit Sand abgerieben. Haben sich deine Träume erfüllt, August? Er schüttelte den Kopf, ich weiß nicht, ich bin noch nicht ans Ende der Träume gelangt. Sie lächelte und wollte ihn umarmen, aber sie waren beide nackt und sie die Frau eines anderen, deswegen drehte er sich weg, da hinten sind noch mehr Muscheln, ich hole sie dir, stapfte durchs Wasser davon, und als er sich umdrehte, war sie verschwunden.
     
    Abends rief Engelhardt die zukünftigen Kokovoren zusammen. Zum letzten Mal gebe es heute Früchte, zum letzten Mal Brot. Eigentlich müsse der Mensch als Krone der Schöpfung sein Speisefett von gleichrangigen Geschöpfen nehmen, also im Grunde vom Menschen selber. Die Menschenfresserei entspreche der Forderung der Logik, allerdings widerspreche sie der Forderung des Herzens. Die Palme allerdings liefere ein der Muttermilch und dem Menschen ebenbürtiges Fett. Nur sie sei dem Menschen ebenbürtig. Das allein sei die Nahrung des Menschen. Früchte in der Form seines Hauptes, vegetabile Menschenköpfe seien die Nüsse. Der Menschenschädel gleicht dem gewölbten Himmelsdom, so wie die Nuss. Wer die Nuss esse, esse den Himmel, esse das Gehirn der Natur. Die Kokosnuss gebe mit der geringsten Menge die größte Kraft, den feinsten Geist, die höchste Ausdauer, der Baum des Lebens sei die Palme, im Christentum das Sinnbild des Sieges des Lebens über den Tod. Ihr griechischer Name sei sogar gleichbedeutend mit dem Phönix, der aus der Asche wiedererstand. Die Religion der Religionen, und das sei die Religion der Liebe und der Wahrheit, müsse und werde auf dem Kokovorismus ruhen. Das Christentum von heute sei deswegen mehr Form als Inhalt, weil es mit Verachtung und Gleichgültigkeit über die Frage hinwegsehe: Was isst du, mein Bruder? Was trinkst du, Schwester? Welche Luft atmet ihr, Geliebte? Die Kokosnuss sei der Stein der Weisen, so endete er und bekräftigte es noch ein- oder zweimal: der Stein der Weisen.
    Er setzte sich erschöpft. So viel hatte er lange nicht am Stück geredet.
    David war der Erste, der aufstand und zustimmte. Anna folgte ihm. Wilhelm. Sarah und Maja nickten. Der Buchdrucker. Jonathan. Bella Nonnenmacher. Andere zögerten. Kopfschütteln, kaum zu sehen, denn die Nacht war schon über die Insel gefallen. Von irgendwoher schrie ein Vogel. »Das schwächt uns«, sagte Emil Friebel schließlich. »Nur Nüsse zu essen macht uns mager und krank. Das ist Verrat an uns und unserer Rasse.«
    »Ich wusste nicht, dass es jetzt auch hier um Rasse geht«, sagte Salomon. »Ich dachte, es geht um Sonne, Freiheit, Gesundheit, Glück und die Erziehung des Leibes.«
    »Leibeserziehung heißt nicht, sich mit Hanteln zu kräftigen.« Friebel nahm den Hut ab, wischte den Schweiß von der Glatze, setzte ihn wieder auf. »Nicht nur. Leibeserziehung heißt, gegenüber dem Erbstrom seiner Rasse alles zu meiden, was den Leib als rassischen Wertträger schädigt. Darum geht es, aber es wundert mich nicht, dass ihr dem gegenüber so gleichgültig seid.«
    »Ich bin das Sprechen nicht mehr gewohnt«, sagte Engelhardt. »Erst recht nicht das Sprechen zu so vielen Menschen. Das ist vielleicht ein Fehler. Ich habe in den letzten Jahren höchstens mit einem Menschen geredet, und das war meistens ich selber. Vor allem habe ich zugehört. Dem Meer, dem Wind und den wenigen anderen. Ich bin hierhergekommen, weil ich mich und die Welt verstehen wollte. Ich habe dafür alles abgestreift, was mich hinderte,

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