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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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Mensch zu sein, und ich habe eines gelernt: dass nichts, was man glaubt oder weiß oder meint, noch Bestand hat, wenn man einem lebendigen Menschen begegnet. Trifft man einen Menschen, versagt jede Theorie. Hier gibt es keine Rasse. Keine Nationalität. Keine Armen und keine Reichen. Keine, die oben stehen, und keine unten. Hier gibt es nur Sonnenkinder. Deswegen gehen wir nackt.«
    »Nicht nur«, sagte Martha. »Nicht nur deswegen. Es gibt noch andere Gründe dafür. Ein Grund ist die natürliche Auslese.«
    Gemurmelter Widerstand.
    Martha schüttelte den Kopf, weil die anderen so schwer von Begriff waren. »Wenn man Kleider trägt, schaut man nicht auf den Körper, sondern den Besitz. Die Millionärstöchter sind gefragt, auch wenn sie hässlich sind. Deswegen die Geldgier einer gewissen Rasse, die der unseren nun mal unterlegen ist.«
    Sarah stand auf. »Ich kann Spagat. Das kannst du nicht. Ich kann auf den Händen gehen. Das kannst du nicht. Ich kann tanzen. Das kannst du nicht. Ich kann fünf Sprachen sprechen und drei weitere lesen. Ich kann Flöte spielen. Ich kann jeden Mann hier haben und glücklich machen, das können fast alle hier bestätigen, und du könntest weder das eine noch das andere, selbst wenn du die einzige Frau auf der Insel hier wärst. Wo bin ich dir unterlegen?«
    »Streitet euch nicht«, sagte Erwin. »Dazu gibt es keinen Grund. Es wird Platz für alle Rassen geben.«
    »Ich brauche den Platz aber jetzt«, sagte Sarah. »Auf dieser Insel. An diesem Strand.«
    »Natürlich gibt es Grund zu streiten«, sagte Friebel. »Die Reinheit einer Rasse ist nun einmal naturgegeben und damit schutzwürdig. Würde jedes deutsche Weib öfter einen nackten germanischen Mann sehen, dann würden sie nicht fremden Rassen nachlaufen. Aus Gründen der gesunden Zuchtwahl fordern wir daher schon lange die Nacktkultur, damit Starke und Gesunde sich paaren, Schwächlinge aber nicht zur Vermehrung kommen.«
    »Genau«, sagte Ulrich, brauchte allerdings lange dafür, er war zu aufgeregt, verdammtes Stottern, »durch das Nacktgehen wird die körperliche und sittliche Entartung des Volkes verhindert. Stattdessen fördert es die Heranziehung eines gesünderen, schöneren und edleren Menschengeschlechtes. Das genau ist für uns der Sonnenorden.«
    Durch bewusste Zuchtwahl, wollte er noch sagen, und durch planmäßige Rassekultur auf sexual-biologischer Grundlage, aber die Wörter waren zu schwierig, dabei hatte er sie immer wieder geübt, vielleicht das nächste Mal.
    »Ein Geschlecht ohne diesen Ausschlag im Gesicht«, sagte Salomon, »und ohne Sprachfehler, das wäre ja schon mal ein Fortschritt.«
    Engelhardt stand auf. Es wurde still. Er schüttelte verwundert den Kopf.
    »Ihr zweifelt daran, Sonnenmenschen zu sein. Ihr zweifelt daran, dass ihr frei seid von allem, was euch hielt. Ihr seid voller Zweifel, weil ihr vergiftet seid vom Leben in den Städten, vergiftet von der Nordsonne, vergiftet von der falschen Nahrung für euren Magen, euren Kopf, euer Herz. Ihr habt Schlechtes zu euch genommen: das falsche Essen, die falschen Gespräche, die falschen Bücher, das falsche Licht, die falsche Luft, die falsche Umgebung. Deswegen der Streit.
    Deswegen seid ihr noch Karikaturen. Fragmente. Noch seid ihr Kandidaten des Todes statt freie Menschen. Nur um die Freiheit geht es, die die Sonne uns gibt, und die Nüsse. Das ist die Zukunft. Darum geht es, und nicht um irgendwelche Rassen. Das ist ein Wort aus der Vergangenheit.«

Schwester Theodora stand auf dem Strand, winkte mit beiden Armen und rief ihm noch hinterher, aber Pater Joseph hörte nur einzelne Silben, hau-gel-kom, ihre Jungmädchenstimme, so hell und durchdringend, dass er in den vergangenen Wochen immer wieder überlegt hatte, wie er sie zum Schweigen bringen könnte, und Fantasien entwickelt hatte, die einem Mann der Kirche definitiv nicht anstanden, sodass er immer wieder Zuflucht im Gebet nehmen musste, Herr, erfülle mein Herz mit grenzenloser Geduld, doch ohne nachhaltige Wirkung, denn sie redete pausenlos, erzählte jede Situation ihres Lebens drei- oder viermal, immer aus unterschiedlichen Perspektiven, als bestünde sie aus einer Handvoll Personen, mal war sie bei ihrer Firmung gestolpert und die Kerze hatte ihr Kleid angezündet, ein andermal stammten die Narben auf ihrem Unterarm von heißem Fett, das in der Küche übergelaufen war, oder ihr Bruder hatte sie angesengt oder ihr Vater gestraft.
    Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist,

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