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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Buhl
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hierherzukommen.

Engelhardt saß im Wipfel seiner Lieblingspalme. Blick weit übers Meer, die Nachbarinseln grün und vertraut, Herbertshöhe nur eine ferne Ahnung, dahinter der Urwald. Fontänen spritzten weit draußen im Wasser, es war die Zeit der Wale, wenn man schwamm, konnte man ihr Rufen im Bauchfell spüren.
    Seine Arme taten ihm weh und sein Kopf. Sein Magen brannte. Er war es nicht wert, sich nur vom Licht der Sonne zu nähren, er war dabei zu versagen, obwohl es undenkbar war, dass ein so edles Organ wie das Gehirn von so einem schmutzigen Körperteil wie dem Magen-Darm-Kanal ernährt werden kann. Völlig unmöglich. Wider alle Logik. Das Gehirn zieht vielmehr die Kraft aus den nahe liegenden Haarwurzeln und diese werden von der Sonne ernährt, das wusste er, aber dennoch wehrte sein Körper sich, er musste ihn zwingen, auch wenn er jeden Tag schwächer wurde. Kaum kam er noch auf die Bäume.
    Auge und Haar sind die besten Lichtkondensatoren, das Gehirn der beste Lichtakkumulator, das hatte er erkannt und schlüssig bewiesen. Also muss auch der Magen allmählich durch Haut und Haar und Auge ersetzt werden, durch die Luft- und Lichtverdauungsapparate. Je mehr man die Nahrung von der Sonne bezieht, umso mehr nimmt die Kraft und Macht der Erde über einen ab. Umso mehr ist man erhaben über die Vererdung und den Tod, auch wenn es sich anfühlte, als sei er ganz nah, aber vielleicht lag das am Fieber, immer hatte er Durst, kein gutes Zeichen, und der Urin war zähflüssig wie Honig. Vielleicht begann so die Unsterblichkeit, dachte Engelhardt, aber er glaubte es nicht. Im Süden lag seine Bibliothek. Hier war er einmal glücklich gewesen, so schien es ihm jetzt, er war glücklich gewesen und allein. Ein paar hundert Schritte abseits davon die Hütten der Jungborner. Ein Palisadenzaun wuchs Meter um Meter ringsum. Am Dachstuhl des Gemeinschaftshauses flatterte eine Fahne, gelbe Sonne vor blauem Grund, davor der Umriss einer Palme. Morgens traten sie raus und grüßten die Fahne, er hatte es selber gesehen, in Reih und Glied, Hand aufs Herz, Augen zur Fahne, dann eine Rede Walters. Einer der Palmwedel knickte ab und fiel zu Boden. Es raschelte in den Blütenständen und eine schwarzbraune Schere schob sich nach oben. Ein Palmenkrebs, das widerlichste Tier auf der Insel, zehn Beine, ein paar Kilo schwer, einen halben Meter lang, der Palmentöter. Der Krebs hob seinen Kopf, als ob er Witterung aufnimmt, kroch näher heran. Engelhardt klammerte sich mit den Schenkeln am Stamm fest, packte ihn mit beiden Händen und hielt ihn hoch in die Luft. Die Vorderbeine mit den Zangen klappten auf und zu, die drei seitlichen Beinpaare furchten die Luft, eines streifte sein Gesicht, kratzte die Nase blutig, und Engelhardt ließ das Tier fallen. Der Krebs prallte gegen den Stamm, krallte danach, glitt ab, rutschte nach unten, drehte sich in der Luft und zerschellte auf den Felsen am Fuß des Baumes.
    Früher einmal hätte er keine Tiere getötet, oder sich wenigstens schuldig gefühlt. Das war vorbei. Es gab keine Schuld. Weit weg sah er Walter mit der Säge aus dem Palmenwald kommen. Sein Blutsbruder, bei Diefenbach hatten sie einmal am Feuer gesessen und sich versprochen, nie wieder Fleisch zu essen, ich schwöre, und sich mit einem glühenden Nagel gegenseitig ein Kreuz in die Oberarme geritzt als Zeichen, ein Kreuz in einem Kreis, und hatten Eisengallustinte hineingeträufelt, die schwarz verlief und sich entzündete und blieb. Engelhardt fuhr sich mit dem Zeigefinger über das Kreuz. Er konnte es sogar spüren, ein Zeichen, dass damals ein neues Leben begann und sie den Weg gemeinsam beschreiten würden, aber der Freund war schneller gegangen als er und viel weiter. Er war schon jenseits aller Zweifel auf sicherem Boden und schritt kräftig aus, während es unter Engelhardt noch schwankte.
    Anna kam auf Walter zu. Walter redete auf sie ein. Engelhardt verstand nicht, was er sagte, er war zu weit weg, überhaupt hörte er nicht mehr richtig, nur ein Rauschen im Ohr, das nie mehr ganz abschwoll, aber er sah, wie Walter ausholte und Anna schlug. Sie hielt still, rührte sich nicht. Der Handrücken riss ihren Kopf nach hinten, einen Moment nur, dann sah es aus, als wäre es nie passiert. Engelhardt dachte daran, wie er sie retten würde, ihre Kutsche wird überfallen, sie gerät unter die Räuber, und er tötet sie alle. Gendarmen nehmen sie beim Nacktgehen fest, und er zersägt die Gitter im Gefängnis und befreit sie aus den

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