Das Paradies des August Engelhardt
Ton, nicht den Ton der Welt, er hatte sich getäuscht, das war nicht das, was Lützow gemeint hatte, das war der Ton der Menschen und der Sünde, aber was heißt das schon, Sünde, und er dachte ans Hohelied der Liebe, aber mein Freund steckte seine Hand durchs Riegelloch, und mein Innerstes erzitterte davor. Da stand ich auf, dass ich meinem Freund auftäte, meine Hände troffen vor fließender Myrrhe an dem Riegel am Schloss. Alles symbolisch gemeint, hatte ihm der Bischof damals erklärt, alles rein symbolisch, die Myrrhe verweist auf das erste Buch Mose, der Riegel auf die Bundeslade, aber vielleicht hatte er sich getäuscht, denn jetzt erzitterte das Innerste der Frau vor ihm, und noch immer sah sie ihn an, bis einen winzigen Moment lang die Iris nach oben schwamm, die Augen brachen und Pater Joseph frei war und floh. Ein paar hundert Meter entfernt stieg er ins Meer, nackt, wie er es von Engelhardt gelernt hatte, kühlte langsam ab, erholte sich mit jedem Zug seiner Arme, schwamm bis zum Riff und darüber hinaus und spürte, wie ihn das Wasser von jeder Schuld erlöste.
Es dauerte lange, bis er sich dem Lager der Abtrünnigen näherte. Zuerst sah er eine Frau auf dem Kopf stehen. Sie hatte die Arme unter dem Schädel gefaltet, stand umgekehrt darauf, die Beine im Schoß gekreuzt. Er nickte ihr zu. Ihre Stimme klang etwas gepresst, als sie ihn grüßte, und er hätte sie gerne gefragt, was sie sich davon versprach, aber sie wirkte nicht sehr gesprächig.
Als Nächstes traf er Pastor. Der saß mit seiner Gitarre an eine Palme gelehnt, die Augen halb geschlossen, die rechte Hand zupfte an den Saiten, die Finger der Linken glitten darüber, eine einfache Melodie entstand, zerfiel in einzelne Bestandteile, fand sich wieder, zerriss, war verschwunden und wurde abgelöst von anderen Harmonien, die vorüberwehten. »Na, Pater, suchen Sie ein paar verlorene Schäflein?«
»Ich habe schon gehört, hier leben die Ausgestoßenen.«
»Genau, die im Aussatz.«
»Was ist passiert?«
»Was passieren musste. Engelhardt wurde zu streng, und nur manche wollte ihm folgen. Das frustrierte ihn und er beschloss, nichts mehr zu essen, und zog sich in die Wälder zurück.«
»Und ohne ihn ging es nicht?«
»Als er weg war, schmissen sie die Juden raus. Komisch eigentlich, plötzlich reden sie hiervon Rasse, na ja, haben sie früher auch schon immer mal wieder, kenne ich schon von Fidus mit seinen feuchten Germanenträumen. Ich und ein paar andere sind gerne hierher mitgekommen.«
»Und Walter Bethmann? Engelhardts Freund?«
»Der strebt nach der Weltherrschaft. Und wir wollen nicht einmal die Insel beherrschen. Nicht einmal mich selber will ich beherrschen, deswegen sind wir doch hier, um ganz unbeherrscht zu sein. Das sehen die anderen nicht so. Sie glauben, man müsse zuerst den eigenen Geist bezwingen, dann den eigenen Körper, schließlich den Geist und den Körper der anderen und am Ende den ganzen verdammten Rest. Wie anstrengend.«
»Wo steht Herr Engelhardt?«
»August will niemanden beherrschen, sondern überzeugen. Deswegen hat er beschlossen, nur noch Sonne zu essen. Er will uns zeigen, dass es funktioniert. Dass wir neue Menschen werden können. Ich glaube das nicht. Das mit dem Nussessen hätte ich eine Weile probiert. Aber gar nichts mehr essen. Ich weiß nicht so recht.«
»Er hat sich so auf Sie gefreut. Auf Sie und auf Herrn Bethmann. Er hat viel von Ihnen erzählt.«
»Es tut mir leid, dass wir ihn enttäuschen. Trotzdem lerne ich von ihm. Das habe ich immer. Auch jetzt lerne ich von ihm. Ich werde so leben wie er. Nicht unbedingt hier auf der Insel, aber genau so. Eine Hütte, ein paar Bücher, keine Kleider. Allerdings eine Gitarre, das wird der einzige Unterschied sein. Und ich werde essen und trinken.« Er spielte ohne hinzusehen einige Akkorde. »Amerika vielleicht. Ich brauche keine Kokosnüsse, und was ich übers Fieber hier gehört habe, macht mir Angst. Kalifornien soll auch schön warm sein und malariafrei.«
»Und die anderen?«
»Die anderen Aussätzigen? Keine Ahnung. Mal sehen. Wir glauben an die Gegenwart. Wir baden im Meer, pflücken Nüsse, hören Musik, August hat uns das Grammophon mitgegeben, es ist berauschend, abends am Meer zu sein und nackt zu Schubert oder Mozart zu tanzen, erst recht, wenn man dieses Gebräu der Einheimischen getrunken hat, Kava heißt es, wir haben es von dem Häuptling, schmeckt zwar grauenvoll und sieht eklig aus, eine grünbraune Brühe, aber nach ein oder
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