Das Paradies des August Engelhardt
den Schlamm robben beim Militär. Die Stimme des Offiziers, ihr seid es nicht wert, fürs Vaterland zu sterben. Er stopfte ihm den Mund mit kaltem Schlamm. Max spielte für immer Akkordeon, Walter war noch sein Freund und Kabakon das Paradies.
Wachte er auf, saß Schwester Theodora bei ihm und fing an, zu reden oder zu beten, oder Pater Joseph, der nichts sagte, sondern ihm einen Schluck Kokosmilch gab, manchmal auch eines der schwarzen Kinder, die erschraken, wenn er sie ansprach mit einer Stimme, die aus der Ferne kam, das bemerkte er noch, bevor er wieder versank und sein Körper mit einer besonders schweren Form des Fiebers kämpfte, mit der zwei Dutzend Kolonisten in der Krankenstation in Herbertshöhe lagen; die Hälfte würde sie nicht überleben, darunter Finanzreferent Asmussen, der mit seinen schwarzen Boys schlief, der geheime Regierungsrat Bernauer, der den besten Schnaps der Kolonie brannte, und drei Missionare, die wetteiferten, wer von ihnen zuerst bei ihrem Herrn sein würde. Engelhardt lief nicht um die Wette, sondern wachte schließlich wieder auf und richtete sich in der Missionsstation ein. Er zog eine Hose des Paters an, wegen der Schwester, und half ihm, ein neues Kreuz zu zimmern, das alte war morsch geworden, und der Heiland riss die Nägel aus dem brüchigen Holz. Sie deckten eine Seitenkapelle mit roten Ziegeln. Engelhardt unterrichtete die Kinder in Deutsch und Mathematik. Es machte ihm Freude, und er brachte ihnen Gedichte bei, Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand, und sie lernten sie und sagten sie auf, verstanden nur nichts, denn sie wussten nicht, was ein Garten war oder eine Birne oder die Havel. Pater Joseph zweifelte, dass eine Zeile wie Kumm man röwer, ick hebb ne Birn tatsächlich die Deutschkenntnisse der einheimischen Kinder hebt, sagte aber nichts. Engelhardt ordnete die Apotheke und bestellte Naturheilmittel in Herbertshöhe, Ackerminze gegen Brechreiz, Gundelrebe und Bockshornklee gegen die Nebenhöhlenentzündung, an der eines der Mädchen litt, und Zinnkraut für die Blutungen Schwester Theodoras, deren Lebensgeschichten er anhörte. Mindestens achtzig Jahre alt hätte sie sein müssen, soviel hatte sie schon erduldet. Er erntete Kartoffeln. Besserte ein Boot aus und bestrich den Kiel mit Pech. Stritt mit dem Pater über die Paulusbriefe und schwamm mit ihm nackt an der Nordseite der Insel, weit weg von der Kirche und Theodora. Spielte Schach gegen einen der Jungen aus der Station und verlor. Pflanzte Tomaten. Trank Tee mit Gouverneur Hahl, der zur Inspektion gekommen war und gerade einen halben Tag auf Kabakon verbracht hatte. »Sie machen Fortschritte«, erzählte der Gouverneur, »die Siedlung wächst, und Herr Bethmann ist ein echter Preuße, klar, direkt und gut organisiert. Seine Ideen bezüglich der Zukunft sind ein wenig, na ja, ausgefallen, sage ich mal, aber das waren Ihre ja auch, Herr Engelhardt, und man kann gegen ihn sagen, was man will, aber er hat seine Leute im Griff, da ist echter Zug dahinter, ein Pfiff, und sie treten an wie beim Militär. Gefällt mir eigentlich sehr gut, der Mann, sollte sich bloß etwas anziehen.
Sorgen macht mir nur die zweite Siedlung. Wenn die Regenzeit kommt, steht keine von deren Hütten mehr, und wir müssen uns um die Leute kümmern. Eine lebt angeblich sogar bei den Wilden, ich habe sie nicht gesehen, aber es gab entsprechende Gerüchte, als eine der Frauen Kabuas. Eine weiße Frau bei den Schwarzen, das geht definitiv nicht, wenn sich das in Deutschland herumspricht, ist das das Ende der Kolonie, aber es soll sich um eine Jüdin handeln, das könnte unsere Rettung sein, denn es ist ja erwiesen, dass der Geschlechtstrieb bei denen hin und wieder ausgesprochen stark ausgeprägt ist. Eine andere der Frauen ist gerade dabei zu packen und wird mit mir nach Herbertshöhe kommen, Fräulein Henning, ich soll Sie von ihr grüßen, sie ist zwar wieder gesund, aber sie hält es nicht mehr aus, das verstehe ich, es sei die reine Sünde, was auf der Insel passiert, sagte sie, und ganz anders, als sie es sich erträumt hatte, aber dazu will ich mich nicht äußern, sie nannte keine Details, und ich glaube und hoffe, dass ich nicht alles wissen muss, aber ich fürchte, dass die zweite Siedlung demnächst an Syphilis eingehen wird; das wird einen schlechten Eindruck in unseren Medizinalberichten machen.«
Als Anna kam, las er gerade der Klasse ein Märchen vor. Dauernd unterbrachen die Kinder,
Weitere Kostenlose Bücher