Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Welt auf den Marquesas angefangen hat.«
    Die Donnerschläge und Blitze hatten ihr ohrenbetäubendes Konzert wiederaufgenommen, und das ganze Haus bebte und wackelte, als würden der Regen und die warmen Windböen es jeden Augenblick aus den Angeln reißen und durch die Lüfte entführen. Die Wasser des über die Ufer getretenen Flusses überfluteten allmählich den Garten. Sie waren deine Freunde, Paul. Sie machten sich Sorgen über dein Geschick. Sie sagten die Wahrheit: Du warst niemand, nur einer, der lernte, ein Wilder zu sein, ohne Geld noch Ruhm, jemand, dem Geistliche, Richter und Gendarmen das Genick brechen konnten, wann sie nur wollten. Der Gendarm Claverie, der auch Richter war und auf der Insel Hiva Oa die Obrigkeit vertrat, hatte dich gewarnt: »Wenn Sie weiterhin die Eingeborenen aufhetzen, dann wird Sie das ganze Gewicht des Gesetzes treffen, und das werden Ihre armen Knochen nicht aushalten. Betrachten Sie sich als gewarnt.« Gut, danke für die Warnung, Claverie. Warum suchtest du dir neue Verwicklungen und Probleme? War das nicht dumm? Vielleicht. Aber es war nicht gerecht, eine »Wegesteuer« von den armen Bewohnern einer kleinen Insel zu verlangen, wo der Staat nicht einen einzigenMeter Straße, Weg oder Piste gebaut hatte und man, sobald man aus Atuona herauskam, auf allen Seiten einem unwegsamen, dichten Wald gegenüberstand. Das hattest du feststellen können bei dem alptraumhaften Ritt auf dem Maultier nach Hanaupe, um über deine Heirat mit Vaeoho zu verhandeln. Deshalb konntest du dich hier nicht von der Stelle rühren, Koke. Deshalb hattest du dich nicht zum Tal von Taaoa begeben können, um die Ruinen von Upeke mit ihren tikis zu sehen, wie es dein großer Wunsch war. Was für ein Betrug, diese Steuer. Wer steckte sich das Geld in die Tasche, das hier nicht investiert wurde? Einer oder mehrere dieser widerlichen Parasiten in der Kolonialverwaltung, in Polynesien oder in der Metropole. Zum Teufel mit ihnen! Du würdest den Maori weiterhin raten, die Bezahlung zu verweigern. Du hattest ihnen ein Beispiel gegeben und den Behörden geschrieben, um ihnen die Gründe darzulegen, warum auch du es nicht tun würdest. Gut gemacht, Paul! Dein anarchistischer Meister Camille Pissarro hätte das gebilligt. Und die Agitatorin im Rock, deine Großmutter Flora, applaudierte dir bestimmt, wo immer sie war, im Himmel oder in der Hölle.
    Camille Pissarro hatte einige Bücher und Broschüren von Flora Tristan gelesen und sprach mit so großer Achtung von ihr, daß du dich zum ersten Mal für deine Großmutter mütterlicherseits interessiertest, von der du nichts wußtest. Deine Mutter hatte dir nie von ihr erzählt. Grollte sie ihr? Mit Recht: Sie hatte sich nie um ihre Tochter Aline gekümmert, sie bei Ammen untergebracht, während sie die Revolution predigte. Doch du schafftest es nicht, mehr als ein paar Zeilen von der Großmutter Flora zu lesen. Deine Zeit reichte gerade dafür, am Tage den Kunden der Agentur hinterherzulaufen und sie über den Stand ihrer Aktien zu informieren und in allen freien Augenblicken – vor allem an den glücklichen Wochenenden in Pontoise, bei der Familie Pissarro – mit wahrem Furor zu malen, zu malen und zu malen. 1878 wurde im Pariser Trocadéro das Ethnographische Museum eröffnet. Du konntest dich genaudaran erinnern, denn als du dort die kleinen Keramikfiguren der alten Peruaner sahst – was für geheimnisvolle Namen: mochicas , chimús –, erfaßte dich zum ersten Mal eine Ahnung davon, was Jahre später zum Glaubenssatz für dich werden sollte: Diese exotischen, primitiven Kulturen besaßen eine Kraft, einen geistigen Impetus wie sie aus der zeitgenössischen Kunst längst verschwunden waren. Du erinnertest dich vor allem an eine mehr als tausendjährige Mumie mit langem Haar, schneeweißen Zähnen und rußigen Knochen, die aus dem Tal des Urubamba stammte. Warum faszinierte dich dieser Totenkopf, den du Juanita nanntest, Paul? Du gingst oft hin, um sie zu betrachten, und eines Nachmittags, als der Wärter nicht aufpaßte, gabst du ihr einen Kuß.
    Kaum zu glauben, nicht wahr, Paul?, daß in dieser Zeit, in der die Malerei dir bereits wichtiger war als alles andere, die Herren der Börsenwelt dich als sicheren Wert betrachteten und sich um dich rissen. 1879 nahmst du ein Angebot an, die Stellung zu wechseln, und machtest es so gut in der neuen Agentur, daß die Prämie in jenem Jahr einem Vermögen gleichkam: dreißigtausend Francs! Was für eine Freude für die

Weitere Kostenlose Bücher