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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gesetzt, und am Abend nach ihrer Ankunfthieß man sie in einer feierlichen Sitzung willkommen. Vom Eingang des Lokals her, das neben dem Museum lag, sah, roch und katalogisierte Flora sie in wenigen Sekunden. Da waren sie, diese freundlichen, förmlichen Saintsimonisten: typische sozialistische Bürger, unpraktische Träumer, die die Elite anbeteten und überzeugt waren, daß sie durch die Kontrolle des Staatshaushalts die Gesellschaft revolutionieren würden. Es waren die gleichen wie in Paris, Bordeaux und überall. Angehörige gehobener Berufe oder Beamte, Eigentümer oder Rentiers, wohlerzogen und gut gekleidet, die an die Wissenschaft und an den Fortschritt glaubten, das Bürgertum kritisierten und ihm doch selbst angehörten und den Arbeitern mit Mißtrauen begegneten.
    Auch hier, wie bei den Sitzungen in Paris, hatte man einen leeren Stuhl auf die Bühne gestellt, Symbol des Wartens auf die Ankunft der Mutter, der Messias-Frau, des höchsten weiblichen Wesens, das sich in heiliger Vereinigung mit dem Vater (Vater Prosper Enfantin, da der Gründer, Vater Claude Henri de Rouvroy, Graf von Saint-Simon, seit 1825 tot war) verbinden und mit ihm das Hohe Paar bilden würde, das bestimmt war, der Menschheit den Weg des Wandels zu weisen, der die Frauen und Arbeiter aus ihrer gegenwärtigen Knechtschaft befreien und das Zeitalter der Gerechtigkeit einleiten würde. Worauf wartetest du, Flora? Warum bereitetest du ihnen nicht die Überraschung und setztest dich auf diesen leeren Stuhl und verkündetest ihnen – mit der Emphase der Schauspielerin Rachel –, daß das Warten ein Ende gefunden hatte, daß sie die Messias-Frau vor sich sahen? In Paris war sie versucht gewesen, es zu tun. Doch die wachsenden Meinungsverschiedenheiten infolge der saintsimonistischen Vergötterung der auserwählten Minderheit, der sie die Macht übergeben wollten, hatten sie davon abgehalten. Hinzu kam, daß sie sich mit dem Vater Enfantin paaren mußte, wenn man sie als Mutter akzeptierte. Dazu warst du nicht bereit, selbst wenn das der Preis wäre, um die Ketten der Menschheitzu sprengen, obwohl Prosper Enfantin als schöner Mann galt und viele Frauen sich nach ihm verzehrten.
    Kopulieren, nicht lieben, sondern kopulieren, wie die Schweine oder die Pferde, das war es, was die Männer mit den Frauen taten. Sich auf sie werfen, sich zwischen ihre Beine drängen, ihre triefenden Ruten in sie hineintreiben, sie schwängern und ihnen für immer die Gebärmutter schädigen, wie André Chazal es mit dir getan hatte. Denn diese Schmerzen dort unten hattest du seit deiner unglückseligen Ehe. »Die körperliche Liebe«, diese zärtliche, sanfte Zeremonie, an der das Herz und die Gefühle, die Sensibilität und die Triebe teilhatten und bei der beide Liebenden gleichermaßen Genuß empfanden, war eine Erfindung der Dichter und Romanciers, ein Phantasiegespinst, das die platte Wirklichkeit Lügen strafte. Jedenfalls zwischen Männern und Frauen. Du zumindest hattest in diesen grauenvollen vier Jahren in der Wohnung in der Rue des Fossés-Saint-Germain-des-Prés deinen Ehemann nicht ein einziges Mal geliebt. Du hattest kopuliert, oder, besser gesagt, du wurdest jede Nacht von dieser wollüstigen Bestie kopuliert, die nach Alkohol stank und dich mit ihrem Gewicht erdrückte und dich betatschte und besabberte, bis sie wie ein sattes Tier an deiner Seite zusammensackte. Wie oft hattest du vor Ekel und Scham geweint, Florita, nach den nächtlichen Vergewaltigungen, denen dieser Tyrann deiner Freiheit dich unterwarf. Ohne sich jemals darum zu scheren, ob du ihn lieben wolltest, ohne im geringsten wissen zu wollen, ob seine Liebkosungen – konnte man dieses widerliche Gekeuche, die schlabbernde Zunge und die Bisse so bezeichnen? – dir Genuß bereiteten oder Schmerz, Traurigkeit, Verzweiflung, Ekel bei dir auslösten. Wenn die zärtliche Olympe nicht gewesen wäre, was für eine armselige Vorstellung hättest du dann von der körperlichen Liebe, Andalusierin.
    Doch schlimmer noch, als kopuliert zu werden, war es, infolge dieser nächtlichen Überfälle schwanger zu werden. Schlimmer. Das Gefühl, anzuschwellen, aus der Form zugeraten, das Gefühl, daß dein Körper und dein Geist ihren Halt verloren, Durst, Übelkeit, Schwerfälligkeit, die geringste Bewegung kostete dich zweifache oder dreifache Anstrengung. Das waren die Segnungen der Mutterschaft? Das war es, was die Frauen ersehnten, womit sie ihre innere Bestimmung erfüllten? Anschwellen, gebären,

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